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Obwohl Songdo die besten Elemente der erfolgreichsten Städte der Welt vereint, sind menschenleere Straßen keine Seltenheit - wie hier im International Business District.

Foto: Eyevine / Antonio Savojardo / Picturedesk.com

Am Anfang war nichts als Schlamm. Als Scott Summers das Gebiet um Songdo zum ersten Mal besichtigte, musste das Land, auf dem die Planstadt errichtet werden sollte, erst noch aus dem Meer gewonnen werden. Nur ein gutes Jahrzehnt später zeigt Summers an ebenjener Stelle auf den höchsten Wolkenkratzer des Landes - einen gläsernen Obelisken, dessen Spitze in über 300 Metern Höhe förmlich ins Himmelblau zu stechen scheint. In seinem Blickfeld versammeln sich sechsspurige Alleen, wellenförmige Hochhäuser und eine Flut an Kränen. Fünf Quadratkilometer wurden bereits verbaut.

Von Anfang an hat Summers das Bauprojekt für den New Yorker Real Estate Developer Gale International beaufsichtigt, es gilt als das ambitionierteste seiner Art: Bis 2020 sollen hier über 40 Milliarden Dollar investiert, Wohnungen für 70.000 Menschen aus dem Boden gestampft und Büros für weitere 300.000 Pendler geschaffen werden. Wo noch vor wenigen Jahren die Gezeiten wirkten, haben die Planer bereits einige dicke Fische an Land gezogen: Universitäten von Utah bis Gent eröffneten jüngst ihre Auslandszweige in Songdo, ebenso eine Filiale des Sheraton, dem ersten LEED-zertifizierten Hotel Südkoreas. Vor zwei Monaten folgte der Weltklimafonds der Vereinten Nationen, der sich bei seiner Standortwahl trotz namhafter Konkurrenz wie Bonn, Genf und Warschau für Songdo entschied.

Doch wenn der Marketingchef sein Projekt verkaufen möchte, erzählt er von einem ganz anderen Argument: "Sie können hier ihr Kind zur Schule absetzen, dort arbeiten und dort wohnen", sagt Summers, während er mit seinem rechten Zeigefinger ein imaginäres Dreieck in die Luft zeichnet: "Alles ist nur wenige Meter entfernt." Das mag profan erscheinen, doch für eine Bevölkerung, die zu einem Viertel in einem 25-Millionen-Ballungsraum lebt, ist es purer Luxus. Songdo befindet sich eine Autostunde von Seoul entfernt - für die Rushhour-geplagten Hauptstadtbewohner ein Klacks.

Potpourri der besten Städte

Nur: Wie plant man eine Stadt, wenn man sie von Grund auf neu denken kann? "Es gab damals keine Vorbildprojekte, an denen wir uns hätten orientieren können", sagt Summers: "Wir dachten: Wenn wir die besten Elemente von erfolgreichen Städten kombinieren, wäre das ein guter Ausgangspunkt." Folglich prangt eine Miniaturversion des New Yorker Central Park im Zentrum von Songdo, das Kanalsystem der Stadt soll an Venedig erinnern, ein Veranstaltungscenter an die Oper in Sydney, und die kleinen Parkflächen sind von der Altstadt Savannahs abgekupfert, die mit ihren begrünten Flächen als die schönste der USA gilt. Ein wenig naiv scheint dieser Potpourri-Ansatz, doch zeigt er auch, dass Städte in einer globalen Welt voneinander lernen müssen.

Im Gegensatz zu chinesischen Konkurrenten kann Songdo nennenswerte ausländische Firmen nicht mit satten Steuererleichterungen locken, dafür hat man ein anderes Ass im Ärmel: Über eine zwölf Kilometer lange Hängebrücke ist Songdo mit dem Flughafen Incheon verbunden, von dort erreicht man ein Drittel der Weltbevölkerung innerhalb von dreieinhalb Flugstunden. Während sich früher Flughäfen an Stadträndern ansiedelten, macht es Songdo umgekehrt.

Doch bislang zieren sich die Unternehmen noch. Während die Wohnungen längst vergeben sind - vor allem an junge Familien, die die Ruhe und den hohen Anteil an Grünflächen schätzen -, schaut es bei den Geschäftsflächen umgekehrt aus. Genaue Zahlen könne man nicht nennen, sagt Jonathan Thorpe, CIO von Gale International, nur dass es eine "große Herausforderung sei". Hinzu sei die Finanzkrise gekommen, die die Entwicklung des Projekts verlangsamt habe. Wollte man ursprünglich bereits 2014 fertig sein, spricht man heute - ganz zaghaft - von 2020. Gewinn hat das Projekt für die Investoren noch keinen abgeworfen.

Doch die künftige Strategie, um ausländische Investoren zu ködern, ist simpel: Songdo besinnt sich ganz auf seine Entwicklung als Smart-City. Dafür ist nicht zuletzt das Telekommunikationsunternehmen Cisco zuständig, für das Songdo eine Art digitale Spielwiese geworden ist, um neue Technik auszutesten.

Das Konzept ist simpel: Fast jeder Quadratmeter ist in Songdo mit Monitoren und Kameras ausgestattet, um die Stadt minütlich zu überprüfen - den Energieverbrauch, den Verkehr, die Temperatur. Die Informationen werden an zentraler Stelle in einer Art "Brain" gesammelt. So können die Bewohner in Echtzeit über Staus und Busverspätungen auf dem Laufenden gehalten werden oder werden vom System daran erinnert, auf ihrem Arbeitsweg einen Regenschirm mitzunehmen. Es soll Aufladestationen für Elektroautos geben sowie ein Recyclingsystem, das sicherstellen soll, dass kein sauberes Wasser für die Toilettenspülung in Bürogebäuden verwendet wird.

Rohrpostsystem für Müll

Wirklich neu aber ist die Abfallverwertung, auch wenn sie im Verborgenen bleibt: In Songdo gibt es keine Müllabfuhr, auch Mistkübel sucht man vergeblich. Tatsächlich ist jeder Haushalt mit einem pneumatischen Tunnelnetzwerk verbunden, das den Abfall im Stile eines Rohrpostsystems zu einem Kraftwerk schickt, wo es dann zur Biogasgewinnung genutzt wird. Vier Fünftel aller Gebäude sind LEED-zertifiziert, und der Energieverbrauch ist laut Angaben von Gale International um 40 Prozent geringer als bei einer durchschnittlichen Stadt vergleichbarer Größe.

Im Zentrum eines jeden Haushalts steht ein Telepräsenzsystem, das in den nächsten Monaten in über zehntausend Wohnungen installiert wird. Was ausschaut wie ein gewöhnlicher Fernseher, funktioniert eher wie ein Fenster zur Außenwelt. "Schon heute lernen Schüler Englisch über diesen Monitor, wobei die Lehrerin von Hawaii aus zugeschaltet ist", sagt Jung Ji-won von Ulife-Solutions, die das System mitentwickelt hat. Lernen via Bildschirm sei günstiger, als ausländische Lehrkräfte ins Land zu holen.

Ebenso läuft derzeit ein Pilotprojekt für den Bereich Telemedizin, und sollte die Regierung die Genehmigung erteilen, könnten schon bald Psychotherapien und ärztliche Diagnosen über den Schirm erfolgen. Den Hausmeister könne man schon jetzt damit rufen, und auch Fitnesscenter haben bereits Interesse angemeldet, Aerobic-Kurse via Telepräsenz zu leiten, genau wie Schönheitskliniken aus Seoul Beratungsgespräche für potenzielle Patienten anbieten wollen.

Mit der Telepräsenz müsse man kaum noch das Haus verlassen, sagt Jung. Wenn man auf die menschenleeren Straßen blickt, scheint sie mit ihrer Prognose recht zu haben.

"Die Lebensqualität ist sehr hoch, aber es gibt schlicht keine Leute", sagt ein 50-jähriger Amerikaner, der als einziger Passant durch die verlassenen Häuserschluchten schleicht. Vor neun Monaten sei er nach Songdo gezogen, um eine Stelle als Englischlehrer anzunehmen, mittlerweile möchte er baldmöglichst weiterziehen: "Die Stadt ist wie sterilisiert - es gibt keine Plätze, an denen man sich trifft." (Fabian Kretschmer aus Songdo, DER STANDARD, 14.1.2015)