Die Frage, wie es sein kann, dass so viele angeblich "Irre" ihre Morde mit dem Islam zu legitimieren versuchen, soll und muss auch friedliebende Muslime beschäftigen. Das hat nichts mit einer vermeintlichen Schuldfrage alle Muslime betreffend zu tun, auch nicht mit der mancherorts geäußerten absurden Forderung, sich täglich und ständig von Taten zu distanzieren, die man nicht verübt hat.

Es hat zentral mit der Frage zu tun, wie die islamische Theologie in weiten Teilen mit gewaltbejahenden Stellen aus den religiösen Schriften umgeht und sie interpretiert. Eine Theologie, die Texte aus früheren Jahrhunderten nicht in den historischen Kontext stellt, sondern sie als unabänderlichen und nichtinterpretierbaren Gotteswillen hinstellt und verabsolutiert, tut nichts gegen Legitimierung von Gewalt im Namen der Religion. Eine Theologie, die sich von Krieg als Verbreitungsmittel der Religion nicht eindeutig distanziert, kann Gräueltaten für die Etablierung eines angeblich "Islamischen Staats" nicht glaubhaft verurteilen.

Es ist viel gemütlicher und weniger konfliktträchtig, die uns alle fassungslos machenden Morde von IS, Al-Kaida und Konsorten als unreligiös hinzustellen. Das würde uns nämlich die Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit einer Reformtheologie in weiten Teilen der islamischen Welt ersparen. Genau die tut aber bitter not. Die Frage, wie religiöse Texte aus dem siebenten Jahrhundert im 21. Jahrhundert interpretiert werden können, damit Religiosität und Frieden und Respekt füreinander kein Widerspruch sind, wird man sich nicht ersparen können.

Ja, es hat auch Diskriminierung von Muslimen unabhängig von den Terroranschlägen gegeben, und es ist zu befürchten, dass sie mit jedem Terroranschlag größer werden wird. Mit ihr steigt auch die Gefahr der Selbstzensur: Wenn eine Gruppe unter Generalverdacht gestellt wird, werden gerade die kritischen Stimmen dort noch unerwünschter. Psychologisch ist das nachvollziehbar, hilfreich ist so eine Haltung trotzdem nicht. Es ist nicht nur möglich, sondern genau jetzt notwendig, gegen antimuslimische Ressentiments anzukämpfen und eine islamische Aufklärung anzugehen. Ein Entweder-oder darf es hier nicht geben. Wir brauchen ein Sowohl-als-auch. (Alev Korun, DER STANDARD, 14.1.2015)