Am Horizont steigen dunkle Rauchwolken auf. Wir sind unterwegs von Kamishli nach Til Kocer, um dort eine Kommandantin der kurdischen Miliz zu treffen. Wir sind in Syrien, im Niemandsland, zwischen den Fronten. Das Gebiet wird von den Kurden Rojava genannt, es liegt im Norden Syriens, wird derzeit selbstverwaltet. Der Frontverlauf mit den Kämpfern der Terrormiliz, die sich "Islamischer Staat" nennt, ist nur ein paar Kilometer entfernt. Die nahen Rauchsäulen machen uns Angst. "Das sind keine Gefechte", beruhigt uns Hamed, unser Fahrer, "das sind die Ölkocher."

Links und rechts der Straße tauchen immer mehr Lkws mit Öltanks auf. Die Straße hat tiefe Spurrillen, aus einzelnen Öltankern werden schließlich Kolonnen. Auf den Feldern steigt dunkler, quälender Rauch auf. Es sind kleine Raffinerien für den Hausgebrauch. In selbstgebauten Kanistern wird das Öl verbrannt, bis schließlich Benzin daraus entsteht. Wie viel Oktan das hat, kann niemand sagen, aber man kann damit fahren. Man erkennt das selbst erzeugte Benzin am dichten Qualm, der aus den Auspuffrohren der Autos raucht.

Längs der Straße stehen Lkws mit Öltanks. Sie liefern Rohöl an und transportieren das selbst erzeugte Benzin ab.
Foto: wolf-dieter grabner

Ein anderes Benzin gibt es hier nicht oder kaum, ebenso wenig Tankstellen, wie wir sie kennen. Meist wird am Straßenrand aus Kanistern und Tonnen unterschiedlichster Größe abgezapft. Das Benzin ist billig, umgerechnet zehn Cent pro Liter.

Von den tausend Förderanlagen auf den Ölfeldern, die einst unter der Kontrolle des syrischen Regimes waren, sind etwa noch hundert in Betrieb. Mehr lässt sich nicht verarbeiten. Es gibt drei kleine Raffinerien, die sind veraltet. Das Assad-Regime hat hier im kurdischen Norden Syriens nie viel investiert – und das Öl Richtung Damaskus gebracht. Was jetzt hier noch in den Raffinerien verarbeitet wird, ist für den Eigenbedarf der Autonomiebehörden und für das Militär. Der private Benzinbedarf wird abgedeckt über das, was die Benzinkocher auf den Feldern produzieren.

Dass das hier eine Umweltsünde ersten Ranges ist, wird klar, wenn man die Rauchwolken sieht und in ihnen steht, wenn man auf die Felder geht, die verseucht sind vom Öl, das hier im Boden versickert. Abgebrannte Kanister säumen die Straße.

Die frisch raffinierte Ware für wird in Fässern aber auch Kanistern gehandelt.
Foto: wolf-dieter grabner

Es ist schwer, etwas dagegen zu tun, erklärt Ekrem Huso, Chef der Regionalregierung des Kantons Cicre in Rojava. Seine Position lässt sich mit der eines Landeshauptmanns vergleichen, allerdings hat Huso noch einen Rat des Kantons über sich, er ist weisungsgebunden.

Im Rat sitzen politische Vertreter der Parteien, der verschiedenen Ethnien und religiösen Minderheiten. Die Kurden versuchen in Rojava eine Art Basisdemokratie zu leben, die Beteiligung möglichst aller Volksgruppen und Religionen soll sicherstellen, dass es untereinander zu keinen Zwistigkeiten kommt und dass man sich geeint der Bedrohung durch die Radikalislamisten entgegenstellt.

Wichtige Einnahmequelle

Dieses Problem lässt sich auch an den Benzinkochern festmachen. Es sind Araber, die auf den Feldern das Öl verbrennen, und es ist allen klar, dass sie zumindest mit dem "Islamischen Staat" sympathisieren, wenn nicht auch fallweise zusammenarbeiten. Es sind Clans, zu ihren Führern halten die Kurden eine brüchige Beziehung aufrecht.

Es ist überlebenswichtig für diese Region, dass sich die arabischen Stammesführer nicht dem Kalifat der Radikalislamisten anschließen. Neben der Haltung und dem Verkauf von Schafen ist die Gewinnung von Benzin die einzig relevante Einnahmequelle. Abgesehen davon, dass auch die Kurden auf dieses Benzin angewiesen sind, würde ein Verbot der Ölverbrennung die Araber dieser Gegend dem "Islamischen Staat" in die Arme treiben und eine weitere Flanke öffnen.

Es sind apokalyptische Szenen, die sich im Niemandsland zwischen der Kurdenhochburg Rojava und dem Einflussgebiet der IS abspielen.
Foto: wolf-dieter grabner

Das erklärt Ekrem Huso, der in Kauf nehmen muss, dass ein Teil des so gewonnenen Benzins wohl auch an die verfeindete Terrormiliz geliefert wird. Auch vom inoffiziellen Export des Öls in die Türkei oder in den irakischen Teil Kurdistans profitieren direkt oder indirekt die Gotteskrieger. Dennoch muss man sich mit den arabischen Benzinkochern arrangieren. Eine Lösung des Problems ist noch nicht in Sicht.

Wir halten an der Straße, steigen aus, Wolf-Dieter, der Fotograf, ist höchst beunruhigt, packt aber seine Ausrüstung aus. Über das Navigationssystem hat er festgestellt, dass wir eigentlich in einem Gebiet sind, das der IS zugerechnet wird. Die letzte Straßenkontrolle der kurdischen Truppen haben wir hinter uns gelassen. Der tatsächliche Frontverlauf, an dem gekämpft wird, verläuft aber woanders.

Manche sind freundlich, posieren mit uns

Wir stehen auf verbranntem Boden, aus den Kesseln qualmt und lodert das Öl, in langen Rinnen wird das Benzin abgeleitet. Die Menschen, die hier arbeiten, haben ihr Gesicht vermummt, das wirkt auf uns nicht unbedingt beruhigend. Wir stapfen an Ölfässern vorbei, beobachten die Männer und die Jugendlichen bei ihrer Arbeit.

Manche sind freundlich, posieren mit uns, lassen sich gerne fotografieren, andere schauen grimmig zu uns herüber. Ein paar Motorradfahrer, ohne Helm, aber mit Tüchern vermummt, tauchen auf. Auch so kennt man die Kämpfer der Dash, wie die IS-Milizen von den Kurden abfällig genannt werden; extrem schnell und mobil, unterwegs auf Pick-ups und Motorrädern.

Ein Benzinkocher bei der Arbeit.
Foto: wolf-dieter grabner

Wir haben bewaffnete Begleiter bei uns, die ihre automatischen Gewehre jetzt verstecken. Nur nicht provozieren, keine Auseinandersetzung riskieren. Wir sind im Feindesland. Unser Fahrer ist hochnervös. "Macht weiter", deutet er uns – wir müssen fort hier, nur nicht zu lange an einem Ort bleiben. Unsere Anwesenheit darf sich nicht herumsprechen.

Wolf-Dieter hat seine Fotos gemacht, wir packen zusammen, werden misstrauisch beäugt. Wir rasen davon, weiter auf der Straße nach Til Kocer, wo die kurdische Miliz für unsere Sicherheit garantieren kann.

Das war Ende Oktober. Wir haben das Abenteuer gut überstanden, haben Interviews gemacht, spannende Leute getroffen, etliche Berichte gemacht.

Im Dezember schickt Wolf-Dieter, der in Erbil im irakischen Teil Kurdistans arbeitet, einen Bericht der Nachrichtenagentur Rudaw weiter: Zwei Kollegen, Farhad Hamo und Massoud Aqeel, wurden in Syrien von Kämpfern der IS entführt. Sie waren auf der Straße von Kamishli nach Til Kocer unterwegs. Über ihren Verbleib ist nichts bekannt, das Schlimmste ist zu befürchten. Wir sind in Gedanken bei ihnen. (Michael Völker, DER STANDARD Rondomobil, 15.1.2015)