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Kundgebung gegen Rechts in Leipzig.

Foto: APA/EPA/Schmidt

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Kundgebung gegen Rechts in Dresden. Insgesamt waren in deutschen Städten mehr als 100.000 Menschen für Vielfalt und gegen die rechte Pegida auf den Straßen.

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Das ist jetzt wirklich hart für Roland Kaiser. Kathrin Oertel, eine der zwölf Pegida-Organisatoren, steht im Skatepark an der Dresdner Lingnerallee und erklärt, dass sie die Konzerte des beliebten Schlagersängers nicht mehr besuchen wird. Roland Kaiser nämlich hat sich am Tag zuvor kritisch über Pegida geäußert. "Buh" und "Pfui" ruft die Masse. Dass Oertel eine Minute zuvor betont hat, jeder habe "das Recht, seine Meinung zu äußern", und dass dies ja eigentlich auch für Roland Kaiser gelten müsste, fällt keinem auf.

Sei's drum. Es ist soll an diesem Montag ja auch nicht um Roland Kaiser gehen, sondern um die Opfer des Pariser Terroranschlags. Man möge mit Trauerflor zum nun schon traditionellen "Abendspaziergang" kommen, hatten die Organisatoren gebeten – sehr zum Missfallen französischer Karikaturisten. Sie protestieren via Facebook gegen die Instrumentalisierung des Anschlags durch Pegida.

"Zu viel Toleranz"

Doch das stört Lutz Bachmann wenig. Der Pegida-Gründer kann zu Beginn des "Abendspaziergangs" zufrieden auf den Skatepark blicken. Im grellen Scheinwerferlicht stehen unzählige Menschen und schwenken Deutschlandfahnen. An manchen flattern schwarze Bänder. Auch sind viele Transparente zu sehen. Darauf steht: "Frau Merkel! Wir lassen uns von Ihnen nicht auf die Schlachtbank Allahs führen." Und: "Zu viel Toleranz ist die letzte Tugend einer untergehenden Gesellschaft." Und: "Paris ist überall."

Apropos: Auch Bachmann macht nach seiner Begrüßung gleich klar, dass er die Anschläge in der französischen Hauptstadt nicht ungenutzt lassen will: "Die Toten von Paris sind ein weiterer Beweis für die Daseinsberechtigung von Pegida", ruft er, und die Menge jubelt.

Eigentlich könnte sich "Pegida" auch "ViMäweFragida" nennen: Nicht "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands", sondern "Viele Männer, wenige Frauen gegen die Islamisierung des Abendlandes". Die Zahl der Männer überwiegt deutlich. "Na, du Nazi, auch heute wieder hier?", begrüßt ein älterer einen jungen Herren. Die beiden lachen und rempeln sich freundschaftlich an. "Wir sind natürlich keine Nazis, auch keine Rechtsextremen", sagt einer der beiden später, "wir werden hier nur von der Presse und den Gutmenschen in die rechte Ecke gedrängt." Er ist 63 und möchte nicht, dass "meine Enkelin später mal nur noch in der Moschee beten darf". Es gehe um die "Überfremdung – verstehen Sie?" Aber es gibt in Sachsen doch nur sehr wenige Ausländer. "Stimmt nicht", lautet die Antwort, "sie werden bloß in keiner Statistik erfasst, weil so viele illegal hier sind."

"Hau ab, Lügenpresse!"

Es ist übrigens nicht so, dass man bei einem Pegida-Treffen einfach Teilnehmer anspricht und diese dann alle bereitwillig ihre Motivation zum Mitmarschieren darlegen. Viele wenden sich ab, viele schauen so angewidert, als habe man gerade um eine Toilettenreparatur ohne Handschuhe gebeten. Manche fauchen: "Hau ab, Lügenpresse!" Die, die reden, sagen vorneweg fast alle den gleichen Satz: "Ich bin kein Rassist." Und dann folgt die Erklärung, warum sie mitgehen: "Wir wollen nicht so viele Ausländer hier in Dresden." – "Der Islam gehört nicht zu uns." – "Beim Euro läuft alles schief, Merkel schiebt den Griechen das Geld in den Rachen." – "Bald hacken die Islamisten auch bei uns Menschen die Köpfe ab." – "Ich bin gegen das Freihandelsabkommen TTIP." – "Wie viele Ausländer wollen wir denn noch aufnehmen?" – "Wenn Pegida marschiert, wird die Politik wenigstens mal aufgeschreckt, das Volk hat doch sonst ohnehin nichts zu melden."

Das Unbehagen vieler gegen das politische Establishment fasst Oertel in ihrer Rede zusammen: "Uns alle treibt das Gefühl um, von keinem Politiker vertreten zu werden." "Jawohl!", wird vielfach zurückgebrüllt. Und auch: "Wir sind das Volk!" Am lautesten ist die Zustimmung, als Oertel erwähnt, dass mehrere deutsche Politiker nach den Anschlägen von Paris geraten haben, auf die Pegida-Demos zu verzichten. "Wir werden auf eine Stufe mit Massenmördern gestellt", ruft sie und fragt: "Sind wir der fanatische Islam?" Die tausendfache Antwort ist klar.

Bevor es losgeht mit dem "Spaziergang" durch die Dresdner Innenstadt, zählt Bachmann noch die sechs Pegida-Forderungen an die deutsche Bundesregierung auf: Stopp der unkontrollierten Zuwanderung, Pflicht zur Integration ("gegen Verlust der heimatlichen Kultur"), Ausweisung von radikalen Islamisten, Volksentscheide auf Bundesebene, "Ende der Kriegstreiberei mit Russland", mehr Mittel für die Sicherheit.

Polizisten und Gegendemonstranten

Dann endlich kann sich der Zug in Bewegung setzen. Es geht raus auf die große Saint Petersburger Straße und rein in die Innenstadt. Schnell zeigt sich: Der eindringliche Appell Bachmanns, diesen Marsch schweigend zu absolvieren und diesmal überhaupt keine Parolen zu rufen, wurde nicht von allen gehört oder verstanden. Denn schon nach wenigen Metern stoppt der Zug, der von einem enormen Polizeiaufgebot begleitet wird. Die Gegendemonstranten sind da: "Pegida, ihr Rassistenpack, wir haben euch zum Kotzen satt", skandieren sie. "Wir sind das Volk!", wird sofort aus der Pegida-Ecke zurückgebrüllt. Auch "Weg frei, Weg frei", wird gefordert.

Doch es dauert – und manchen offenbar zu lange. Plötzlich wollen einige Demonstranten ausscheren und auf die Gegendemonstranten zulaufen. "Bleibt zurück, nein, Freunde, nein, bleibt da!", rufen die Pegida-Ordner aufgebracht und bugsieren die Demonstranten wieder zurück, noch bevor die Polizei eingreifen muss. Auch sonst klappt das mit dem Schweigen nicht ganz. Lauthals erzählt etwa eine Gruppe junger Demonstranten vom letzten Kegelausflug. Einer schaut in sein Smartphone und ruft dann begeistert: "Bohaaey, guckt mal, wir sind auf N 24 zu sehen."

Eineinhalb Stunden später ist der Zug nach seinem Rundgang wieder im Skatepark angekommen. Jetzt herrscht wirklich Ruhe, die meisten sind müde. Deutschlandfahnen werden nicht mehr eifrig in der Luft geschwenkt, sondern hängen schlaff von den Schultern der Träger. Die Organisatoren vermelden noch 40.000 Teilnehmer und erklären: "Wir haben ein deutliches Zeichen gesetzt." – "Genauso isset", sagt ein junger Mann. Welches Zeichen? "Na, gegen alles. Dass die da oben uns mal hören. Deutschland ist sowieso am Ende." Aber wenn es nächsten Montag noch steht, dann wird er wieder bei Pegida mitmarschieren. (Birgit Baumann aus Dresden, derStandard.at, 12.1.2015)