Wien – Schon die ersten drei Songs sind das Beste, was man aus dem Eck seit langer Zeit gehört hat. Jubilierender Gesang, Basslinien wie Sex, behäbig den Funk am Goder kraulende Gitarren. Aber in welches Eck will man diese Musik eigentlich stellen? Was D’Angelo auf seinem Album Black Messiah hören lässt, ist ein Amalgam aus Soul, Hip-Hop, Jazz, Gospel und Funk. Das sind vielgelittene Fächer, die für allerhand herhalten müssen, doch D’Angelo destilliert daraus ein eigenes Vokabular und atemberaubende Ergebnisse.
Schon sein Titel stellt das Album in eine Chronik, in der man Größen wie Isaac Hayes findet. Der verstorbene Soulstar veröffentlichte 1971 das Album Black Moses. Schon damals war so ein Titel nicht bloß egomanische Anmaßung, sondern wollte während der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung über Musik Orientierung bieten. So wie es in den Jahrzehnten davor die Kirchen für die Afroamerikaner getan hatten. Man darf davon ausgehen, dass D’Angelo das Album kennt.
Der Mann mit dem nach einem falschen Italo-Schlagerfuzzi klingenden Namen heißt an Mutters Tisch Michael Eugene Archer. Seit seinem Auftauchen mit dem Album Brown Sugar wird er als Wunderkind gehandelt. Black Messiah ist nun die dritte Bestätigung dieses Verdachts. Schon als Vierjähriger soll Michael Klavier gespielt haben, bald sang er unter Vaters Führung, einem Prediger, im Kirchenchor und kam als Teenager über diverse Talentwettbewerbe, die er quasi konkurrenzlos für sich entscheiden konnte, ins Business.
Dort debütierte er 1995 mit einer gerade schwer angesagten Mischung aus Hip-Hop und Soul, die als Neo-Soul etikettiert wurde. Doch wo andere lediglich als Gesicht oder Stimme taugten, war D’Angelo mehr, war alles. Er schrieb seine Songs, er spielte und produzierte sie meist im Alleingang. Das 2000 erschienene Voodoo untermauerte seinen Ruf und etablierte den gerade 26-Jährigen als Superstar.
Mach dich nackig!
Es folgte das berühmt gewordene Video zu Untitled (How Does It Feel?), das den entblößten Künstler wie aus braunem Marmor gemeißelt bis knapp über dem Huch! zeigte. Der Clip erwies sich als Fluch und Segen zugleich. Voodoo verkaufte sich zwar palettenweise, doch die darauffolgende Tournee verkam ob des kreierten Images und des täglich wiederkehrenden Publikumswunsches, er möge sich doch bitte nackig machen, zum Albtraum für den Star.
Der nun 40-Jährige soll damals gesagt haben, er wolle sich nach der Tour in den Wald verziehen, ansaufen, eine Wampe anfressen und einen Bart stehen lassen. So ähnlich kam es.
D’Angelo ergab sich dem Teufel, kokste sich durch die Nächte, erteilte Madonna einen Korb, vergnügte sich mit Jack Daniels und Jim Beam, überlebte nur knapp einen Autounfall, nahm nur halbherzig an Entzugsprogrammen teil, verlor Geld, Halt und Freunde. In seiner Biografie finden sich die Wegweiser des Untergangs, doch anders als viele Gefallene ist er wieder aufgestanden. Heute soll der dreifache Vater trocken und in Balance sein.
Sanfte Revolutionäre
Black Messiah, das dritte Album in 19 Jahren, existierte als Gerücht schon lange. Seit etwa 2009 soll er daran gearbeitet haben, doch wie Ahmir Questlove sagt, verwirft D’Angelo enorm vieles. Questlove ist Drummer bei den Roots, ein enger Freund D’Angelos und an Black Messiah beteiligt.
Auch bei D’Angelo ist dieser Titel keine eitle Selbstüberschätzung. Er meint mit Black Messiah alle, die sich für eine bessere Welt einsetzen, wobei ihm da die USA nahestehen. Er bezieht sich im Booklet auf die Occupy-Bewegung, das Städtchen Ferguson als jüngstes Symbol eines anhaltenden und immer schießwütigeren Rassismus sowie die Demokratiebewegung in Ägypten.
Sanfte Revolutionäre hat die schwarze Musik in ihrer Geschichte viele hervorgebracht. D’Angelo stellt sich neben Marvin Gaye oder den zärtlichen Giganten Curtis Mayfield. Künstler, die die Schicksale Einzelner in größerem Zusammenhang mit der Welt zu stellen vermochten. In einem einfachen Satz wie "I would never betray my heart" liegt demnach eine persönliche Message D’Angelos ebenso wie eine universelle.
Fremde Zungen
Seine Band nennt er The Vanguard, die Vorhut. Mit ihr kreiert er in meist intimen Settings verführerisch tropfende Tracks, denen er im Falsett Bedeutung und Gefühl einhaucht. In religiöses Wetterleuchten am Rande des Wahnsinns siedelt er ein Stück wie 1000 Deaths an, am Lagerfeuer massiert er unsere Seelen in The Door oder spricht in Prayer mit fremden Zungen. Sünde, Vergebung, Gänsehaut.
D’Angelo mag ein zerrissener, ein ramponierter Erlöser sein, doch das interessiert den Blinden nicht, den er wieder sehen lässt. Ein paar Wunderheiler wie ihn kann diese Welt gut vertragen. (Karl Fluch, DER STANDARD, 13.1.2015)