Es gibt Handlungen der Menschen, die Gott missfallen. Aber nichts verabscheut Gott mehr, als wenn der Mensch etwas neben oder an die Stelle Gottes setzt (Koran, Sure 4: Vers 116). Denn unabhängig davon, wie Gott genannt wird, gibt es in der islamischen Auffassung nur einen einzigen Gott (112:1). Er ist Orientierung und Maßstab für das menschliche Leben und die menschlichen Handlungen. Etwas zu Gott zu gesellen, impliziert, diesem Etwas göttliche Kompetenz zuzusprechen und damit den Handlungsspielraum und den Wahrheitsanspruch Gottes von der menschlichen Seite her einschränken zu wollen. Diese Haltung wird im religiösen Bereich als die Hauptsünde angesehen. Und genau das tun die Attentäter, wenn sie unschuldige Menschen töten und sich dabei auf Gott berufen.

Denn wenn Gott allmächtig ist (59:24), die Menschen in bester Form erschaffen (32:7), ihnen Leben vom eigenen Geist eingehaucht (32:9), sie mit Würde (17:70) ausgestattet, sie als Stellvertreter (2:30) auf Erden eingesetzt, ihnen sowohl die gesamte Umwelt wie auch seine Botschaft anvertraut hat (33:72) und das zur Verwaltung dieser Geschenke notwendige Denkvermögen (39:9) und die Willensfreiheit (6:164) gegeben hat, dann steht es niemandem zu, in Gottes Namen dieses Vertrauen und das Interesse Gottes an den Menschen zu zerstören. Jeder, der das macht, begeht Missbrauch des Namens Gottes.

Gott ist es, der die Vielfalt (16:93) gewollt und zugelassen hat und den Menschen ermöglicht hat, sich frei für oder gegen ihn zu entscheiden (10:99; 2:256). Es bleibt Gott selbst vorbehalten, im Jenseits die Taten der Menschen durch seine unendliche Barmherzigkeit und absolute Gerechtigkeit unter Berücksichtigung der menschlichen Möglichkeiten zu richten. Die Anmaßung eines solchen Gerichts durch die Menschen bedeutet nichts anderes als die Schändung des Namens Gottes.

Terroristen, die Unschuldige im Namen Gottes töten, sprechen sich bewusst oder unbewusst göttliche Kompetenzen zu und begehen dadurch die größtmögliche Sünde, indem sie sich an die Stelle Gottes setzen, sich im Besitz der göttlichen Wahrheit fühlen und sich so Gerichtsbarkeit anmaßen. Sie tun das zur Verbrämung der eigenen Interessen und zur Legitimierung ihrer Ideologie. Dadurch dienen sie - sich auf Gott berufend - dem Teufel, der sich der Niederwerfung vor dem Menschen als Zeichen der Anerkennung der menschlichen Würde verweigert hat und somit nicht nur den Befehl Gottes missachtet, sondern auch das Interesse Gottes an den Menschen verkannt hat, ähnlich wie es die Terroristen tun.

So kommt es, dass diese Mörder in der Annahme, Gott zu dienen und seinen Namen zu beschützen, in Wahrheit dem Bösen dienen und sich selbst und ihrer Religion mehr Schaden zufügen, als es je eine Karikatur bewirken könnte.

Die Gründe und Motive für derartige Gewalttaten sind vielschichtig und können nicht auf ein Phänomen reduziert werden. Nichtsdestotrotz machen die schrecklichen Ereignisse die Notwendigkeit theologischer Arbeit deutlich. Die erwähnten Koranverse sind gute Grundlage für die Entwicklung einer an der gottgegebenen Menschenwürde orientierten, gewaltablehnenden islamischen Theologie. Für sich genommen sind sie aber zu wenig. Um eine zukunftsorientierte, an Gewaltfreiheit interessierte Theologie zu forcieren, ist eine intensive Auseinandersetzung mit den islamischen Quellen erforderlich, insbesondere mit jenen Stellen, die gewaltbereite Ideologien häufig zu ihrer Legitimierung heranziehen. Gleichzeitig ist die Solidarität aller innerislamischen Akteure vonnöten. Eine weitere Bedingung ist die Einbeziehung der unterschiedlichen Kontexte in die islamische Theologie ebenso wie die Berücksichtigung biografischer, sozialer wie ökonomisch-politischer Zugänge.

Den Islam neu prägen

Insbesondere auf dem Hintergrund der bedauernswerten Anschläge zeigt sich: Es muss uns gelingen, den Islam von der Gefangenschaft der "Rückständigen" zu befreien, um ihm seine eigentliche und konstruktive Rolle in der Gesellschaft zu geben. Es kann uns Muslimen gelingen, den Islam aus seiner eigenen Tradition heraus im gegenwärtigen Kontext neu zu prägen, damit dieser, wie in den besten Zeiten, als eine der Möglichkeiten, Mensch zu sein, verstanden werden kann. (Zekirija Sejdini, DER STANDARD, 13.1.2015)