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Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) mit ihrem französischen Kollegen Bernard Cazeneuve.

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Datenschützer befürchten einen Verlust an Freiheit als Reaktion auf die Terroranschläge in Paris.

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Mehr Daten sollen Anschläge verhindern – unter Aktivisten gilt das als fragwürdig.

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Am Sonntag trafen sich mehrere EU-Innenminister in Paris, um Maßnahmen zur Terrorprävention zu besprechen. Der Tenor: Eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung (VDS), die vergangenen April vom Europäischen Gerichtshof gekippt worden war, ist überfällig. Die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hatte, ebenso wie ihr deutscher Kollege Thomas de Maizière (CDU), bereits in den vergangenen Monaten immer wieder eine Neuauflage der Überwachungsmaßnahme gefordert; in Paris bekräftigten beide diesen Wunsch. Der neue EU-Innenkommissar Dimitris Avramopolous soll seine Mitarbeiter schon im Dezember mit dem Ausarbeiten einer neuen Richtlinie beauftragt haben. Kritiker bezweifeln indes die Sinnhaftigkeit des Datenspeicherns – aus mehreren Gründen.

1. Angriff auf die Freiheit

Wie der Europäische Gerichtshof im April feststellte, ist eine anlasslose, verdachtsunabhängige Speicherung einer Vielzahl persönlicher Daten ein zu großer Eingriff in die Grundrechte der Bevölkerung. Vorratsdaten speichern für einen gewissen Zeitraum (hier gibt es nationale Unterschiede), wer wann wo wie lange mit wem telefoniert hat.

Im Bereich Internet protokollieren Provider dasselbe für E-Mails und IP-Adressen. Auf diese Daten können dann Staatsanwälte oder – bei Gefahr im Verzug – sicherheitspolizeiliche Einrichtungen zugreifen. Durch die Verknüpfung der einzelnen Informationen lassen sich, auch wenn keine Inhalte gespeichert werden, erstaunlich genaue Persönlichkeitsprofile erstellen. Deshalb kippte nicht nur der EuGH, sondern auch mehrere nationale Verfassungsgerichte (etwa in Deutschland oder Österreich) die Maßnahme.

2. Frankreich hat momentan eine Vorratsdatenspeicherung

In Frankreich werden diese Daten aktuell für die Dauer von zwölf Monaten gespeichert (also doppelt so lang, wie es das österreichische Gesetz, das im Juli aufgehoben wurde, vorsah). Dennoch wurde Paris vergangene Woche von einer Attentatsserie erschüttert. Für viele Gegner der Vorratsdatenspeicherung ist das kein Widerspruch: Das Datenspeichern sei "kein Präventionsinstrument", sagt etwa der grüne Abgeordnete Albert Steinhauser im Gespräch mit derStandard.at. Der IT-Rechtsanwalt Lukas Feiler von Baker & McKenzie verweist zusätzlich auf Einzeltäter, bei denen das Kommunikationsprofil keine Indizien für eine erhöhte Gefahr liefere.

Zusätzlich wurden Vorratsdaten in den zwei Jahren ihres Bestehens in Österreich vor allem für Delikte abgefragt, die nicht in die Kategorie Terrorismus oder "schwere Verbrechen" fallen – vor allem wollten Behörden bei Stalking Beweise sammeln oder Zigarettenfälschern auf die Spur kommen. Wegen Terrorismus wurden in Österreich kein einziges Mal Vorratsdaten abgefragt.

3. Österreichische Gesetze reichen aus

Feiler und Steinhauser sind beide der Ansicht, dass den österreichischen Behörden auch ohne Vorratsdatenspeicherung ausreichend Instrumente im Kampf gegen den Jihadismus zur Verfügung stehen. Tatsächlich speichern Telefonanbieter die Verbindungsdaten für Rechnungszwecke ohnehin bis zu fünf Monate. Staatsanwälte dürfen auf diese Informationen zugreifen, wenn sie wegen Straftaten ermitteln, auf die mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe steht.

Das ist in nahezu allen Delikten im Bereich Jihadismus der Fall, etwa auch bei der Ausreise und Heimkehr ins syrisch-irakische Kriegsgebiet. Durch die Vorratsdatenspeicherung würden diese Daten – je nach Auslegung – drei bis sechs Monate länger gespeichert werden, außerdem kämen konstante Standortdaten sowie im Internetbereich die Protokollierung von IP-Adressen und E-Maildaten hinzu.

4. Terroristen können VDS leicht umgehen

Zusätzlich dazu, dass ein Großteil der Vorratsdaten als Rechnungsdaten ohnehin vorhanden ist, können Terroristen oder andere Kriminelle die Protokollierung ihrer Daten sehr leicht umgehen. Wie etwa bei der Anhörung vor dem Verfassungsgerichtshof vergangenen Sommer deutlich wurde, werden etwa WhatsApp- oder Skype-Gespräche nicht erfasst. Laut dem grünen Nationalratsabgeordnete Albert Steinhauser fallen auch Wertkartenhandys aus dem Raster der Sicherheitsbehörden.

5. Geheimdienste haben kein Informationsdefizit

Bei vielen Terroranschlägen der letzten Jahre wurde schnell klar, dass Sicherheitsbehörden die Angreifer bereits als gefährlich vermerkt oder unter Beobachtung hatten. So ist es auch bei den Kouachi-Brüdern, die das Attentat auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" verübt hatten. Sie standen auf der Terror-Beobachtungsliste TIDE. Bei einem weiteren Brüderpaar, den Zarnajews, die den Anschlag auf den Boston-Marathon 2013 ausgeführt hatten, war die Situation ähnlich: Dort warnte der russische Geheimdienst seine US-Kollegen eindringlich vor Jihadisten. Auch die rechtsextreme Terrorgruppe NSU, die in Deutschland mehrere Anschläge ausführte, war auf dem Radar des Verfassungsschutzes.

"Es gibt kein Informationsdefizit", bestätigt Steinhauser, der Mitglied im Innenausschuss ist. Tatsächlich weisen viele Experten darauf hin, dass Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung sogar zu viel an Informationen bringe. So bezeichnete NSA-Whistleblower Edward Snowden die Aktivitäten seiner ehemaligen Agency oft als "Suche nach der Nadel im Heuhaufen". Sinnvoller ist eine Aufstockung der Ressourcen bei Analysten, konkret: die Forcierung von Deradikalisierungsmaßnahmen, Kontakte in die Szene und langfristig eine Strategie, wie man junge Menschen ohne Perspektive vom Terror fernhält. (Fabian Schmid, derStandard.at, 12.1.2015)