Eine Mutter (Sophia Loren) im Bombenhagel der letzten Kriegstage: "La ciociara" (1960), einer der größten Filme von Vittorio De Sica.

Foto: Österreichisches Filmmuseum

Wien – Die erste Begegnung zwischen Don Domenico und der hübschen Filumena findet unter denkbar ungünstigen Bedingungen statt. Vom Himmel regnet es Bomben, sie sollten eigentlich dringend einen Luftschutzkeller aufsuchen, doch Filumena, keine 18 Jahre alt, schämt sich. Sie ist eine Prostituierte und will als solche nicht unter die Leute. Die Sache geht gut aus, schon zwei Jahre später trifft sie wieder auf den noblen Herrn, nun trägt sie das Haar flammend rot und kokettiert mit aller Welt. Don Domenico kann nicht anders, als sie zu sich ins Auto zu bitten, und wenig später nimmt er sie zum Pferderennen mit.

Es waren zwei Superstars des italienischen Kinos, die 1964 in Vittorio De Sicas Matrimonio all'italiana (Hochzeit auf Italienisch) das ungleiche Traumpaar spielten: Sophia Loren und Marcello Mastroianni, in einer Produktion von Carlo Ponti. Farbenpracht, Glamour, Frivolität, all das in einem Film, der zugleich schon im Titel zu erkennen gibt, dass er mit den Klischees der Italianità spielen will. Zwanzig Jahre nach dem Krieg hat sich das Land so weit erholt, dass es keinen Neorealismus mehr braucht, sondern schicke Wagen. De Sica ist der Regisseur im italienischen Kino, der wie kein anderer die Widersprüche verkörpert, die sich daraus für die Filmkunst und das kommerzielle Kino ergaben.

Die Schau mit 21 Filmen, die ihm das Österreichische Filmmuseum widmet, ist deswegen eine besonders ergiebige Schneise durch ein Nationalkino, das in diesem Zeitraum auch europäisch wurde. De Sica gilt einerseits als Inbegriff des Neorealismus nach dem Krieg: Sciuscià (Schuhputzer, 1946) und fast mehr noch Ladri di Biciclette (Fahrraddiebe, 1948) sind so etwas wie Urkunden dieser bedeutenden Erneuerungsbewegung. André Bazin verteidigte dieses Kino gegen seine didaktischen Verächter als Inbegriff einer Anverwandlung an die Wirklichkeit, als (utopische) Überwindung der Künste, als deren Aufhebung in das Leben selbst. Das Leben einfacher Menschen, müsste man dazu sagen.

Doch schon wenige Jahre später galt De Sica dem jungen Jacques Rivette selbst als "unverbesserlicher Schulmeister": als Regisseur, der mit seiner Botschaft und seinen Stilmitteln hausieren geht. Was war passiert? Wenn man es vereinfachen wollte, dann könnte man sagen: De Sica hatte Sophia Loren entdeckt, die Antipodin zu Anna Magnani. Loren hatte immer schon zu viel Sex-Appeal, um wirklich als Frau in Not durchgehen zu können, und der Neorealismus war nun einmal dem "nackten Leben" verbunden.

Wirren des Übergangs

1960 manifestierte sich diese Spannung in einem seiner größten Filme: La ciociara (... und dennoch leben sie, wörtlich: eine aus der Ciociara, einer Landschaft in Mittelitalien) ist eine kaum verhüllte Überschreibung von Rossellinis Paisà, dem Befreiungsfilm par excellence. Sophia Loren spielt die Mutter einer halbwüchsigen Tochter, die Rom verlässt, den Bomben der letzten Kriegstage wegen. In ihrem Heimatdorf unter dem großen Himmel erlebt sie die Wirren des Übergangs und fällt ihnen schließlich doch noch zum Opfer. Sie verliert nicht das Leben, aber sie wird in ihrer Würde verletzt, in einer wilden Szene, die uns heute als rassistisch erscheinen muss.

Sexualität und sexuelle Gewalt spielen bei De Sica immer eine größere Rolle als bei Rossellini oder bei dem in dieser Hinsicht überdeutlichen Fellini. Das mag damit zu tun haben, dass er selber ein Verführer war, ein Mann, der als Schauspieler wusste, wie man das Publikum herumkriegt. Das nicht geringste Verdienst der Schau im Filmmuseum ist, dass sie den Star De Sica und den Regisseur De Sica parallel führt. So taucht hier mit I nostri sogni (Unsere Träume, 1943) von Vittorio Cottafavi ein Juwel der Kriegsjahre auf, in dem De Sica sich als Schlawiner bewährt - ein Film auf Grundlage eines Boulevardstücks, wie später auch Hochzeit auf Italienisch.

In Rossellinis Il generale Della Rovere (1959) kehrt er noch einmal in dieses Jahr 1943 zurück, wieder als einer, der sich durchmogeln möchte, der sich dann aber heldenhaft verhält. In dieser zwiespältigen Rolle steckt der ganze De Sica, und man kann hier durchaus eine Überarbeitung von Rom, offene Stadt erkennen, dem Gründungsfilm des Neorealismus. Das italienische Nachkriegskino, das das Österreichische Filmmuseum seit Jahren mit vorbildlicher Gründlichkeit erforscht, hat in Vittorio De Sica eine seiner komplexesten Figuren, einen integren Opportunisten, einen Populisten des reinen Kinos. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 10.1.2015)