Elisabeth spielt seit ihrem sechsten Lebensjahr mit ihren Füßen Keyboard.

Foto: Privat

Linz – Irgendetwas stimmt nicht, sagte der Frauenarzt, als er den Bauch von Elisabeths Mutter einige Tage vor der Geburt abtastete. Da es vor 38 Jahren noch keinen Ultraschall gab, konnte der Gynäkologe allerdings keine genauere Diagnose geben. Elisabeth kam tatsächlich mit einem Handicap auf die Welt: Sie besitzt keine Arme.

Nachdem "oben" nichts war, habe automatisch das Unten diese Aufgabe übernommen. So wurden ihre Füße auch ihre Hände. Gelenk hebt die zierliche Frau das rechte Bein weit mehr als 100 Grad in die Höhe, betätigt mit der großen Zehe den Hebel des Wasserhahns in der Küche. Zwischen ihr Kinn und die einzigen zwei Finger ihrer rechten Hand, die direkt an die Schulter anschließt, klemmt sie das Glas und lässt Wasser einlaufen. Anschließend stellt sie das gefüllte Glas ab und drückt mit der großen Zehe den Hebel des Wasserhahns herunter. Mit den Fingern nimmt sie das Glas, hält es gegen ihren Oberkörper und trägt es zum Esszimmertisch.

Mit Haken und Drahtschlinge

Elisabeth kommt bei den meisten Tätigkeiten im Alltag allein zurecht. Dabei hat ihr auch die Uniklinik Heidelberg geholfen, die verschiedene Therapien entwickelt hat. "Da habe ich gelernt zu schwimmen, mich selbstständig mit Hilfsmitteln anzuziehen." Die zierliche Frau zeigt einen Haken und eine Drahtschlinge, mit denen sie Knöpfe öffnen und schließen oder den Reißverschluss auf- und zuzuziehen kann. Selbst das Zehn-Finger-System am Computer beherrscht sie mit den Zehen.

Neben ihr am Tisch sitzt Ehemann Wolfgang. Als er seinen Freunden erklärte, dass er Elisabeth heiraten werde, reagierten einige durchaus skeptisch. "Sie hielten mich eher für einen unsteten Typ, der gern durch die Welt zieht. Und dass ich nach 20 Jahren in Wien auf dem Land in Enns sesshaft werden und eine Familie gründen wollte, war für viele überraschend."

Mutig in die Schwangerschaft

Die Entscheidung für eine Schwangerschaft fiel Elisabeth nicht leicht. "Natürlich hatte ich Angst, ob ich die neun Monate körperlich schaffe, denn ich habe auch Skoliose." Auch die Furcht, dass sie sich in den ersten Monaten nicht um das Baby kümmern können würde, war ein Grund. Doch nach einem langen Gespräch mit ihrer Gynäkologin fasste sie Mut. Mittlerweile ist Magdalena fünf Jahre alt, besucht den Kindergarten. Die schwierige Anfangsphase ist eigentlich schon vergessen.

In den ersten Monaten versorgte vor allem Wolfgang die Tochter. Der freiberufliche Fotograf schraubte seine Arbeitszeiten deutlich zurück. "Ich ging halt einfach mal ein paar Monate nicht fotografieren." Dafür musste er nachts aufstehen, die Tochter tragen, wenn sie wegen Blähungen schrie. Beim Wickeln und beim Baden des Säuglings stand Wolfgang seiner Frau zur Seite. Genauso brauchte diese die Hilfe ihres Mannes, wenn sie mit der Tochter spazieren gehen wollte. "Er hat Magdalena von der Wohnung im dritten Stock nach unten getragen, in den Kinderwagen gelegt und auch wieder geholt."

Im Schneidersitz

In der Wohnung lag die Kleine auf einer Decke auf dem Boden, auf der sie von Zimmer zu Zimmer gezogen wurde. Auch Wolfgang stellte das Tragen ein, denn die Eltern merkten, dass die Tochter dies dann auch von ihrer Mutter lautstark einforderte. Zum Beruhigen etwa legte Elisabeth ihre Tochter immer auf die Beine. Dazu setzte sie sich in den Schneidersitz und legte das Kind vor sich hin. Mit einem Bein wippte sie leicht. Diese Technik übernahm dann auch der Vater. Auch heute macht Magdalena noch viel mit ihrem Vater. So begleitet sie ihn auf Fototermine. "Ihr macht das Fotografieren Spaß, sie hat mittlerweile ihre eigene Kamera."

Mitleidige Blicke zur Tochter

Natürlich sei Magdalena sehr früh selbstständig geworden und stark. Die mitleidvollen Blicke von Müttern auf dem Spielplatz, die ihr gelten, weil sie eine Mama ohne Arme hat, würden an ihr abprallen. Auch wenn im Kindergarten die anderen reden und sie das sehr wohl mitbekommt, dürfte sie das nicht belasten. Jedenfalls erzähle Magdalena nie etwas, auch habe sie ihre Mutter noch nie gefragt, warum sie keine Arme besitze. "Für sie ist das normal, dass ich so bin, wie ich bin. Ich glaube, ihr fällt das gar nicht so richtig auf", meint Elisabeth.

Eine wesentliche Erleichterung für die Familie brachte der Sommer 2013, als Elisabeth den Führerschein machen konnte. Nach unzähligen Behördengängen und auch Schikanen durfte sie in ihrem Auto mit Fußlenkung (das sie in Deutschland gebraucht erstanden hat) die Prüfung ablegen. Jetzt müsse Wolfgang nicht mehr das Familientaxi sein. Und endlich kann die Tochter auch öfter ihre Freunde im Nachbarort besuchen oder dort ins Ballett gehen.

Elisabeth hat jetzt auch wieder mehr Zeit für sich. Sie arbeitet ehrenamtlich als Kindergartenhelferin in einer Krabbelstube und gibt Keyboardunterricht. Seit ihrem sechsten Lebensjahr spielt sie das Instrument mit ihren Füßen. (Kerstin Scheller, derStandard.at, 13.1.2015)