"Zeichne einen glorreichen Mohammed, und du stirbst. Zeichne einen lustigen Mohammed, und du stirbst." Es klingt auf fatale Weise prophetisch, was Stéphane Charbonnier, Chefredakteur des französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo", vor zwei Jahren in einem Leitartikel schrieb. Charbonnier, auch als Zeichner Charb bekannt, wurde wegen seiner Karikaturen ermordet. Das Massaker von Paris ist ein Anschlag nicht nur auf die Wochenzeitung, sondern auf die Meinungs- und Pressefreiheit. Es ist ein Attentat nicht nur auf Journalisten oder ein Land, sondern auf die freie Gesellschaft.

Kurt Tucholsky gab die Antwort auf die von ihm gestellte Frage "Was darf die Satire?": "Alles." Es gehört zum Kern der Freiheit, auch über politische oder religiöse Sachverhalte spotten zu dürfen. Man kann diskutieren, ob es Grenzen gibt, ob religiöse Gefühle verletzt werden. Aber das rechtfertigt keine Gewalttat, schon gar nicht ein Massaker wie jenes in Paris. Es war ein Terrorakt, der sich gegen Kritik am Islam richtete, gegen die Zeichnungen, die "Charlie Hebdo" publizierte.

Auch in unserer Redaktion gab es Kritik daran, dass wir mit der Schlagzeile "Terror gegen islamkritische Zeitung" den Fokus zu sehr auf einen Aspekt richten. Denn "Charlie Hebdo" teilte in alle Richtungen aus. Wir publizieren einige Titelblätter des Satiremagazins und Zeichnungen der vier getöteten Karikaturisten als Zeichen: Die Freiheit der Kunst, des Wortes darf nicht eingeschränkt werden. Auch wir erhielten am Tag des Anschlags in Paris Drohungen, die wir zur Anzeige brachten. Wir lassen uns nicht einschüchtern!

Die US-Medien - bis auf drei Ausnahmen - verzichteten dagegen auf die Publikation der Mohammed-Karikaturen von "Charlie Hebdo". Ihren Entschluss begründeten sie damit, dass man durch eine solche Veröffentlichung Gefahr laufe, religiöse Gefühle zu verletzen. Die "New York Times" erklärte, "dass eine Beschreibung der Karikaturen unsere Leser ausreichend informieren" würde. Dafür rückte die Zeitung, wie die meisten Boulevardmedien, jenes Foto auf die Titelseite, das zeigt, wie die Attentäter den auf dem Boden liegenden Polizisten Ahmed Merabet aus nächster Nähe erschießen. Wir sind der Ansicht, dass man ein solches Foto nicht zeigen muss. Dies ist kein Fall von Selbstzensur, sondern eine bewusste ethische Entscheidung der Redaktion.

Dass in Frankreich und anderen Ländern Europas so viele Menschen auf die Straße gehen, ist ein wichtiges Zeichen der Solidarität und gegen Einschüchterung. Wichtig ist auch, dass islamische Länder und Institutionen die Anschläge klar verurteilt haben. Bei allem Entsetzen über die Morde darf dies nicht zu pauschalem Misstrauen gegen alle führen, die sich der islamischen Glaubensgemeinschaft zugehörig fühlen. Dass Front-National-Chefin Marine Le Pen prompt die Einführung der Todesstrafe in Frankreich forderte, ist der verabscheuenswürdige Versuch, aus dem Attentat politisches Kapital zu schlagen.

Die richtige politische Reaktion hat 2011 der damalige norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg gefunden, nachdem Anders Breivik als vermeintlicher Verteidiger des "Abendlandes" 77 Menschen getötet hatte: "Unsere Antwort ist mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Menschlichkeit. Aber nie Naivität." Nicht naiv zu sein bedeutet, den islamistischen Terror sehr ernst zu nehmen - aber auch Grundrechte zu verteidigen. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, 9.1.2015)