Von der beachtlichen Quantität abgestandener Ideologeme versucht die ÖVP den dialektischen Sprung in jene Qualität, die sie bei einer nächsten Nationalratswahl, wann immer sie kommen mag, endlich wieder zur stärksten Partei macht. Die Mittel, mit denen sie es versucht, sind bescheiden - und offensichtlich von der Erwartung getragen, die SPÖ werde sich in ihrer Programmarbeit auch nicht mehr trauen. Nüchtern betrachtet handelt es sich bei der "Evolution Volkspartei" um Restelverwertung aus der eher ruhmlosen Obmannschaft Michael Spindeleggers. Vergessen oder das Angefangene irgendwie fortsetzen war die Alternative, und weil irgendetwas ohnehin geschehen muss, will man nun von den Mitgliedern wissen, was sie von 39 Fragen halten, die aus 9500 Ideen kondensiert wurden.

Dass das Kondensat einen kritischen Geist wie Erhard Busek nicht begeistern würde, war nach einem Blick darauf zu erwarten. Doch selbst eine mildere Betrachtungsweise gestattet keinen Blick auf eine bestimmte Richtung, in die sich die Partei künftig evolutionieren will. Die Maxime der Befragung scheint eher zu sein, die Mitglieder mögen den Spitzenfunktionären gefälligst den Pelz waschen, ohne sie in ihren Geschäften zu behelligen. Am deutlichsten wird das sichtbar, wenn ein Problem, das die Partei seit Jahrzehnten beschäftigt, von vornherein der Behandlung durch die Mitglieder entzogen wird, nämlich ob die bündische Gliederung beibehalten oder abgeschafft werden soll.

Die meisten Fragen haben rein rhetorischen und einen viel zu allgemeinen Charakter, als dass eine Antwort darauf möglich wäre, die Evolution voranbringen könnte, und sei es nur ein paar Zentimeter. Was soll denn ein ÖVP-Mitglied schon sagen, wenn seine Meinung zu einem umfassenden Bürokratieabbau oder zu einer Senkung der Abgabenquote eingeholt wird? Ein Nein wäre originell, ist aber kaum zu befürchten. Fragen nach einem Mehrheitswahlrecht oder einer Direktwahl von Abgeordneten kann man natürlich immer wieder aufwärmen, aber aus Ja/Nein-Antworten werden sich da kaum vernünftige Handlungsanleitungen gewinnen lassen, und noch weniger, sollten sie sich die Waage halten.

Die Fragen sind sämtlich aus dem Pool der Tagespolitik geschöpft, daher sind auch die brennenden, ins Grundsätzliche gehenden ausgeklammert. Etwa die nach der Rolle des Föderalismus, seiner Stärkung oder Redimensionierung samt Abschaffung des Bundesrates. Etwa die, ob in Zeiten wie diesen eine Koalition mit einer fremden-, ausländer- und EU-feindlichen Partei in Frage käme oder nicht. Und einiges mehr. So bleibt unklar, ob es sich bei diesem Evolutionsversuch eher um eine Beschäftigungstherapie für frustrierte Mitglieder oder um ein Stimmungsbarometer zum Gebrauch der neuen Parteiführung handeln soll. Oder einfach um das Bemühen, beim Programmwettlauf mit der SPÖ als Erste ins Ziel zu kommen, egal wie.

Revolution ist ja auch von deren Programm kaum zu erwarten. Aber sie könnte vom Koalitionspartner lernen, wie man es nicht machen sollte, will man ein Quäntchen Evolution erzeugen. (Günter Traxler, DER STANDARD, 9.1.2015)