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Titelseiten der türkischen Zeitungen.

Foto: AP/Ozbilici

Ein Terroranschlag ist ein Terroranschlag, aber dann wiederum ist das zumindest in der Türkei alles doch nicht so einfach. Im islamistischen Boulevardblatt Yeni Şafak erschien am Donnerstag eine Zeichnung des Karikaturisten Osman Turhan, die den Gedankenlauf widerspiegelte, in dem Turhan wie viele konservative Muslime in der Türkei nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" endlos Kreise fahren: Verschwörung, Rechtfertigungszwang, Relativierung, Weiterreichen der Schuld?

Turhan zeigte einen Dunkelmann mit Pistole in der Hand und Narbe im Gesicht, der sich drohend über einen Karikaturisten am Zeichentisch beugt; die andere Hand des Attentäters aber hält Schnüre, an denen der Karikaturist wie eine Marionettenpuppe hängt. Soll also heißen: Die Islamsatiren von "Charlie Hebdo" und die Ermordung der Karikaturisten sind das Werk derselben dunklen Macht, die den Muslimen Böses will; doch etwas Genaues weiß man nicht. Yeni Safak gilt als ein Sprachrohr der Regierung.

Es hat ein paar Stunden gebraucht oder einen Tag im Fall des staatlichen Religionsamts Diyanet, bis türkische Staatsvertreter eine verurteilende Stellungnahme zum Massaker in Paris zusammengebracht haben. Mevlüt Çavuşoglu, der Außenminister, war der Erste, der sich am Mittwoch versuchte. "Wir verurteilen auf das Schärfste alle Arten von Terrorakten", sagte Çavuşoglu und verlor sich dann in zwanghaft anmutenden Relativierungen.

Eines der größten Defizite auf der Welt sei die Entschlossenheit, den Terrorismus zu bekämpfen, erklärte der Außenminister vor türkischen Journalisten und fand flugs von Paris zum Bürgerkrieg in Syrien. Das Fehlen einer umfassenden Strategie im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" verhindere eine Lösung dieses Problems, erläuterte Çavuşoglu. Dann fuhr er fort: Terror sei das eine Element, das Europa bekämpfen müsse, doch das zweite Problem seien "Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie, die in vielen europäischen Regionen im Ansteigen begriffen sind".

Vage zwischen Erklärung des Anschlags und Entislamisierung desselben schwankend, stellte der türkische Außenminister schließlich fest: "Die Glaubensfreiheit der Menschen muss respektiert werden. Sie sollte nicht lächerlich oder verächtlich gemacht werden. Der Islam ist eine Religion des Friedens, und es ist nicht richtig, ihn mit Terrorismus in Verbindung zu bringen.“

"Wer beabsichtigt was?"

Auch Yalçin Akdogan, einer der stellvertretenden türkischen Regierungschefs und ein Vertrauter des Staatspräsidenten, führte in seiner länglichen Stellungnahme zum Anschlag auf "Charlie Hebdo" nach einer Verurteilung allerlei Relativierendes ein: Auch die Türkei erlebe Terroranschläge, jüngst erst wieder in Istanbul; Europa sei nachlässig gewesen im Umgang mit Mitgliedern und Sympathisanten von PKK und DHKP-C, so lässt Akdogan verstehen; in Europa habe es schon Angriffe auf Moscheen gegeben. Und auch Vizepremier Akdogan nennt einen islamistischen Terrorakt nicht bei seinem Namen: "Diese Taten werden begangen, um andere Ziele zu erreichen ... Wer beabsichtigt was? Was wollen sie? Ich glaube, es ist notwendig, das Bild richtig zu lesen."

Die deutlichste, zweifelsfreiste Verurteilung des Anschlags in Paris kam dafür aus dem Präsidentenpalast, möglicherweise auch, weil die Stellungnahmen mancher türkischer Minister als nicht ausreichend empfunden wurden. "Terrorismus hat keine Religion oder Nationalität, und keine Entschuldigung kann dafür gegeben werden", hieß es in der im Namen von Staatschef Tayyip Erdogan veröffentlichten Erklärung. "Wir müssen eine feste Haltung einnehmen gegen Hassreden, Intoleranz gegenüber Unterschieden und gegen Versuche, religiöse und kulturelle Verschiedenheiten als Grund für Feindschaft zu nehmen."

"Fürchte nicht zu lesen", "wenn es Pressefreiheit gibt" und "Charlie Hebdo" waren die populärsten Hashtags bei Twitter in der Türkei in den Stunden nach dem Anschlag. Andererseits gab es eine Reihe von Schreibern auf Twitter, manche mit erheblicher Leserschaft, die den Terrorakt rechtfertigten ("Wer den Islam angreift, muss seine Strafe finden ..."). Sie lösten rasch eine Protestwelle aus. Der mussten sich auch die Onlineausgaben der islamistischen Zeitungen "Yeni Akit" und "Türkiye" beugen, die zunächst noch Schlagzeilen hatten wie "Angriff auf das Magazin, das unseren Propheten beleidigt hatte". Diese Titel wurden bald geändert. (Markus Bernath, derStandard.at, 8.1.2015)