Den Wienern und Wienerinnen wird seit jeher nachgesagt, vom Tod fasziniert zu sein. Und manchmal sind sie den Toten näher, als sie wissen. Denn Gottesäcker, eine alte Bezeichnung für Friedhöfe, befanden sich seit der Spätantike meist bei Gotteshäusern, die wiederum im Zentrum eines Ortes standen. Erst Überbelegung, Angst vor Krankheiten und der Hunger nach immer mehr Bauland verdrängten die Bestattungsorte wieder aus der Stadtmitte. Viele Tote verblieben in ihren Gräbern und wurden vergessen. Diese Orte sind zwar aus dem Stadtbild verschwunden, erzählen aber viel über Bevölkerung, Wachstum und Entwicklung von Wien.

Daher widmet ihnen die Stadtarchäologie nun eine Serie von Ausstellungen. Die darin vorgestellten neuzeitlichen Friedhöfe wurden von den Stadtarchäologen ausgegraben und erforscht. "Zur Erden bestattet in Hernals" ist die zweite Ausstellung in der Reihe. Sie wird von der Stadtarchäologie Wien und der Volkshochschule Meidling veranstaltet. Die Ausstellung präsentiert die Ergebnisse der Ausgrabung auf dem einstigen Bestattungsplatz um die Kalvarienbergkirche und setzt sie in Beziehung zur Ortsgeschichte von Hernals.

Ausgrabung des nördlichen Friedhofs in Hernals, vorne sind drei Gräber ohne Sarg zu sehen.
Foto: Stadtarchäologie Wien

300 frühneuzeitliche Gräber entdeckt

Die Bevölkerung des Vorortes Hernals hatte einen eigenen Bestattungsplatz. Für die Neugestaltung des St.-Bartholomäus-Platzes musste im Herbst 2009 die Oberfläche abgetragen werden. Bereits unter der Asphaltdecke fanden die Arbeiter Spuren von Gräbern. Die Baustelle verwandelte sich daher vorübergehend in eine Grabungsstätte: Die Stadtarchäologie Wien legte in sieben Wochen mehr als 300 frühneuzeitliche Gräber frei. Sie gehörten zum ehemaligen Friedhof der Pfarre Hernals, der vom späten Mittelalter bis ins Jahr 1786 genutzt wurde.

Die Kirche St. Bartholomäus ist in Hernals bereits für das 14. Jahrhundert bezeugt. Rund um die Kirche lag der Friedhof. Die Stadtarchäologen gehen davon aus, dass sich das dazu gehörige mittelalterliche Dorf zwischen Elterleinplatz und St.-Bartholomäus-Platz sowie entlang eines Weges am Hang südlich des Alsbaches erstreckt hat. Erst 1892 wurde das bis dahin eigenständige Dorf Hernals in die Stadt Wien eingemeindet.

Friedhof als sozialer Spiegel der Gesellschaft

In einigen Gräbern fanden sich Überreste der Totenkleidung. Diese Beigaben geben Aufschluss über Glauben, Rituale und sozialen Stand. Bei einigen Toten fanden sich Gürtel und Knöpfe, die Aussagen über die soziale Topografie Wiens erlauben: Denn die Verzierungen sind teilweise durchaus bescheiden. Das bedeutet, dass nicht nur die Elite auf den Friedhöfen der Stadt begraben wurde, sondern auch Angehörige des Prekariats, des Militärs, Arme und Seuchenkranke.

Ein Teil eines prachtvollen versilberten Segmentgürtels mit Renaissance-Motiven, gefunden in Hernals.
Foto: Stadtarchäologie Wien

Datenbank Skelett

Der Fachbereich, der sich mit der Auswertung menschlicher Überreste beschäftigt, wird als Osteo- oder Bioarchäologie bezeichnet. "Das Skelett ist ähnlich einer Datenbank, in der zahlreiche Informationen über Identität und Lebensumstände einer Person gespeichert werden und auch Jahrhunderte nach dem Tod noch abrufbar sind", berichten die Mitarbeiter der Stadtarchäologie. Die anthropologische Auswertung ermöglicht also Aussagen über den Gesundheitszustand und das Sterbealter.

Neuere DNA-Analysemethoden lassen teilweise sogar erkennen, an welchen Krankheiten Menschen gestorben sind, wie die Stadtarchäologie informiert: "Die DNA bestimmter Krankheitserreger ist sehr robust und kann unter günstigen Lagerungsbedingungen über viele Jahrhunderte erhalten bleiben." Bislang am Skelett "unsichtbare" Krankheiten wie die Pest können so aufgespürt werden.

309 Individuen, die auf dem Friedhof am St.-Bartholomäus-Platz gefunden wurden, konnten anthropologisch ausgewertet werden. Für die Bevölkerung in der frühen Neuzeit war das niedrige Sterbealter nicht überraschend. Die Ursachen der geringen Lebenserwartung konnten an zahlreichen Skeletten nachgewiesen werden. Ein häufiges Problem waren Mangelerkrankungen, die an Biegedeformationen der Langknochen festgestellt wurden: ein Hinweis auf chronischen Vitamin-D-Mangel, auch Rachitis genannt. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 90 Prozent der Kinder in mittel- und nordeuropäischen Städten der frühen Neuzeit an Rachitis litten.

Auch Skorbut, also ein chronischer Vitamin-C-Mangel, wurde an Kinderskeletten nachgewiesen. Bis zum 20. Jahrhundert waren jedoch Infektionskrankheiten die führende Todesursache. Grund waren Unterernährung sowie die mangelhafte Hygiene und medizinische Versorgung.

Freilegung einer Sargbestattung in Hernals.
Foto: Stadtarchäologie Wien

Kulturelle Praktiken

Überreste von Frauen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren, die in Hernals bestattet wurden, wiesen teilweise Deformierungen der Rippen und des gesamten Brustkorbs auf. Veränderungen dieser Art können durch das häufige Tragen eines Korsetts entstehen. Ein männliches Skelett zwischen 40 und 60 Jahren hatte halbovale Einkerbungen an beiden Eckzähnen, was wiederum auf das regelmäßige Fixieren einer Pfeife mit den Zähnen hinweist. (Julia Schilly, derStandard.at, 9.1.2015)