Nazaret entkommt dem Massenmord an seinem Volk, aber er bleibt ein Gezeichneter: Tahar Rahim in Fatih Akins Drama "The Cut".

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Wien – Im Jahr 1915 lebt der armenische Schmied Nazaret Manoogian mit Frau und zwei Töchtern eben noch im Großfamilienverband in Mardin im Südosten der heutigen Türkei. Nicht einmal zehn Jahre später ist nichts mehr, wie es war. Nazaret hat nahezu als Einziger der Manoogians die systematische Ermordung seines Volkes überlebt, die Suche nach seinen Töchtern hat er nie aufgegeben, sogar den Ozean überquert.

Mit "The Cut" hat Fatih Akin, Hamburger Filmemacher mit türkischen Wurzeln, ein Projekt zu einem Thema verwirklicht, das ihn seit langem persönlich umtreibt. Der Völkermord der Türken an den Armeniern und seine hartnäckige Leugnung hätten ihn, erzählte er etwa dem "Spiegel", schon als Schüler beschäftigt.

Noch vor Veröffentlichung seiner vorigen Regiearbeit "Soul Kitchen" 2009 hatte er mit Vorbereitungen für "The Cut" begonnen, schließlich gut vier Jahre an der Realisierung gearbeitet. Auf die Uraufführung in Venedig vergangenen Herbst reagierte die internationale Kritik jedoch mit viel Enttäuschung darüber, dass die ins Abenteuerfilmartige gehende Umsetzung dem Thema nicht gerecht wird.

Dabei hat Akins Affinität zu populären Genres sonst meist gut funktioniert. In seiner immer noch herausragenden Arbeit "Gegen die Wand" (2004) gelang es ihm, Milieurealismus mit hitziger Melodramatik so zu verquicken, dass man sich der intensiven Wirkung kaum entziehen konnte und dabei gleichzeitig etwas über gegenwärtige Realität erfuhr. Ein impulsiver, emotionaler Zugang prägt das gesamte Werk des inzwischen Einundvierzigjährigen – aber bei "The Cut", Akins bis dato aufwändigster und teuerster Produktion, überwiegt erstmals der Eindruck, dass das womöglich nicht ausreicht.

Möglichst schnell

Der 138-minütige Film ist als Stationendrama angelegt, welches Zeiten und Kontinente durchmisst – beim Zusehen verliert man mitunter kurz den Überblick, Schriftinserts werden eher sporadisch eingestreut. Jede Situation muss möglichst schnell etabliert werden, in entsprechend groben Strichen werden Figuren und Ereignisse gezeichnet. Die Nachstellung vom Grauen eines Lagers, in dem Überlebende sich selbst und dem langsamen, öffentlichen Sterben überlassen sind, wirkt geradezu obszön.

Für die Rolle des Nazaret hat Akin den Franzosen Tahar Rahim engagiert, bekannt aus "Ein Prophet" (2009). In "The Cut" wirkt der Schauspieler ungelenk – ein Schnitt in die Kehle, der Nazaret zugefügt wird, beraubt diesen seines Sprechvermögens und seinen Darsteller damit eines wesentlichen Ausdrucksmittels.

Nazaret ist von seinen Erlebnissen – und der Zeit, die vergeht – äußerlich zunehmend gezeichnet, aber Rahims jungenhafter Gestus schimmert durch Maske und Kostüm und macht diesen Prozess unglaubwürdig. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 8.1.2015)