Das Brummen der Motoren auf dem Highway zwischen der Millionenmetropole Danang und der alten Hafenstadt Hoi An verschlucken die Berge regelrecht. Oder korrekter gesagt: die Hügel. Thuy Son soll nur etwas höher als 100 Meter sein, da die Kuppe von Meeresspiegelniveau aufsteigt, sieht das trotzdem imposant aus. Die vietnamesischen Marble Mountains, fünf bewaldete Marmor- und Kalksteinfelsen, erheben sich wie Fantasiefiguren aus der Ebene.

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Die Marble Mountains: fünf bewaldete Marmor- und Kalksteinfelsen

So idyllisch war es hier nicht immer. Vor mehr als 40 Jahren befand sich die Grenze zwischen dem kommunistischen Norden und dem amerikanisierten Süden gut 100 Kilometer nördlich, die US-Truppen unterhielten einen Flugplatz unterhalb der Berge und sonnten sich in der Freizeit am Sandstrand von Danang, den sie China Beach nannten. Sie ahnten nicht, dass vor ihren Augen, in der Höhle eines Felsen, der Vietcong ein Lazarett unterhielt - und von dort Flugzeuge abschoss. "Sie waren sich unserer Ignoranz so sicher", beschrieb Drehbuchautor und Vietnamveteran William Broyles junior (Apollo 13) diese paradoxe Nähe. Er war ab 1969 zwei Jahre in Vietnam stationiert und konzipierte 1988 die preisgekrönte Fernsehserie China Beach mit.

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Hoi An
Foto: REUTERS/Kham

Von dieser schrecklichen Zeit des Vietnamkrieges ist heute nur noch Folklore übrig. In der größten der fünf Höhlen, in der sich Rebellen versteckten, erinnern steinerne Gedenkplatten an die "Helden des Krieges", ein Buddha wacht über die Besucher - und am Eingang posiert ein vietnamesischer Jugendlicher für ein Handyfoto als betender Buddha, sehr zum Gelächter seiner Begleitung.

Tempel, Religionen und Krieg

"Wir wollen nach vorne schauen." Diesen Satz hören Reisende in Vietnam oft. Und auch die beiden jungen Frauen, Trinh und Hai, wiederholen ihn. Sie arbeiten im nahen Maia Fusion Resort, manchmal führen sie Touristen durch das Höhlengewirr und erzählen ihnen von der Geschichte des Ortes. Was meist bedeutet: eine kurze und kühle Erklärung über Tempel, Religionen und Krieg. Von Ressentiments gegenüber den Amerikanern keine Spur, eher spürt man eine gewisse Furcht vor dem potenten Nachbarn im Norden, den Chinesen - die im Laufe der Jahrtausende währenden Geschichte öfter nach Vietnam eindrangen.

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Ein der zahlreichen Buddha-Statuen

156 Stufen führt der Weg hinauf zum größten Berg, eine anstrengende Kraxelei - oder der Besucher nimmt den Aufzug, der vor kurzem eingeweiht wurde und am Beginn des Rundwegs hält. Von hier oben weitet sich der Blick und fokussiert auf Werkstätten und Schuppen, die sich seit mehr als 400 Jahren an die Felsen schmiegen.

Zu viele für fünf Berge

Dort bieten Steinmetze alle möglichen Tiere und Götter in allen Größen an - für den Altar im Schlafzimmer bis hin zur überlebensgroßen Replika für den Springbrunnen. 600 Familien seien mittlerweile auf diese Arbeit spezialisiert, sagt Trinh - zu viele für fünf Berge, deren Vorrat endlich ist. Deshalb hat die Regierung den Abbau von Marmor streng reglementiert und importiert das Material nun aus Kambodscha oder Pakistan.

Ein paar Hundert Meter östlich lockt das Meer, vor Jahren noch ein Geheimtipp für Individualtouristen, inzwischen ein Dorado für Hotelketten. Knapp 30 Kilometer lang ist die Küstenmeile bis zur von der Unesco geschützten Stadt Hoi An - wo steinerne Brücken, Pagoden und eine lebendige Schneiderkultur Touristen anziehen. Der Tourismus ist eine der Wachstumsbranchen der Volksrepublik. Von der Aussichtsplattform der Marble Mountains können das Besucher aus der Ferne erkennen: Wie Spielzeugautos planieren Lkws große Strandgrundstücke, ameisengroße Menschen werkeln dazwischen mit Schaufeln.

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Ein Tempel im Inneren der vietnamesischen Marble Mountains. So werden die fünf Marmor- und Kalksteinhügel bei Danang genannt.

Dagegen ist der Höhlen- und Pagodenpfad auf dem Thuy Son Mountain eine Oase der Ruhe. Thuy Son ist nach dem Element Wasser benannt. Um ihn herum liegen die anderen vier Felsen, sie tragen ebenfalls eines der fünf Elemente im Namen: Tho - Erde, Kim - Metall, Hoa - Feuer und Moc - Holz. Der Legende nach sollen sie verhärtete Schalen eines Dracheneis sein, die Fabelwesen wurden in Vietnam als Zeichen von Macht verehrt und zieren Königspaläste.

Mehr Buddha-Statuen

Der Buddhismus ist weit verbreitet in diesem Land mit offiziell 80 Prozent Atheisten. Tatsächlich verneigen sich viele einheimische Besucher dreimal vor jedem Tempel. Davon gibt es auf dem Areal drei. Hinzu kommt der Xa-Loi-Turm. In dem siebengeschoßigen Bauwerk sind die Knochen eines Heiligen untergebracht, hinauf darf niemand außer dem Hüter des Turms. In den letzten Jahrzehnten hat der Staat den Pfad gründlich renoviert. Die beiden Frauen erinnern sich gut, dass es hier früher nicht so viele Buddha-Statuen gegeben habe.

Trinh führt in eine Höhle, durch einen Spalt fällt Sonnenlicht. Sie zeigt dorthin, was heißt, da oben liegt das Ziel. Mit Vehemenz erklettern die Frauen den schmalen Pfad und schieben sich durch den kleinen Spalt. Oben wartet ein atemberaubender Rundumblick: zu den bewaldeten Hängen des Bach-Ma-Nationalparks, der weißen Lady-Buddha-Statue auf der Landzunge hinter Danang und den Cham-Inseln, zu denen Schnorcheltrips organisiert werden. Am Fuße der Hügel erkennt man den alten Militärflughafen der Amerikaner: ein verwildertes Areal mit verwitterten Schuppen. Die Erinnerung des Krieges, da unten ist sie bereits von der Natur ausgelöscht. (Ulf Lippitz, Rondo, DER STANDARD, 9.1.2015)