Voll des Lobes für Irland - und sich selbst: Premier Enda Kenny.

Irland hat in den letzten beiden Jahren überwiegend durch positive Neuigkeiten von sich reden gemacht. Im Dezember 2013 entkam die Insel am Westrand Europas nach dreijähriger Abhängigkeit von Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission als erster Sorgenstaat der Eurozone der Troika-Kuratel. Seither geht es immer bergauf.

Dem Forschungsinstitut Esri zufolge verzeichnete das Land im vergangenen Jahr rund fünf Prozent Wachstum, die Arbeitslosigkeit sank auf elf Prozent. Für 2015 erwarten die Ökonomen 4,6 Prozent Zuwachs, die Erwerbslosenquote könnte sich bei 9,7 Prozent einpendeln. Steigende Immobilienpreise, niedrige Zinsen, ein erfreulicher Zugewinn an Arbeitsplätzen, dazu die Erholung in Großbritannien: Viele Faktoren tragen zum Optimismus bei.

Optimismus? Die schönen Daten sind bei den 4,6 Millionen Iren bisher nicht angekommen. Bei der EU-Wahl im Mai 2014 straften sie die große Koalition der konservativen Fine Gael (FG) mit Labour unter Premier Enda Kenny heftig ab. Die letzte Ipsos-Umfrage für die Irish Times ergab im Dezember jämmerliche 25 Prozent für beide Regierungsparteien (FG 19 Prozent, Labour 6); bei der letzten Wahl vor vier Jahren hatten sie gemeinsam 55 Prozent und eine Zweidrittelmehrheit der Mandate in der Dáil, dem Dubliner Parlament, erreicht.

Laut Umfrage wollen je gut 20 Prozent der Iren ihr Kreuz bei den Nationalisten von Fianna Fáil (FF) und den linksradikalen Ex-Terroristen von Sinn Féin machen. Vor allem aber würde sich ein Drittel der Wähler für Splitterparteien oder Unabhängige entscheiden.

Weil sich außerparlamentarische Proteste bisher in engen Grenzen hielten und auch ein Tarifpakt zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften alle harten Einsparungen überstanden hat, darf sich der 63-jährige Regierungschef Kenny Hoffnung machen, bis zur spätestens 2016 anstehenden Wahl das Ruder noch herumzureißen. "Wir haben sehr hart gearbeitet, unpopuläre Entscheidungen getroffen und so das Land aus dem Sumpf gezogen", lobt sich der Konservative selbst. Dabei hätten die Iren erheblichen Gleichmut gezeigt, pflichtet ihm Brendan Howlin, Labour-Minister für Staatsausgaben und Reform, bei.

Eiserne Sparmaßnahmen

Tatsächlich kam es in Dublin nur ein einziges Mal, 2010, zu einer Demonstration mit mehr als 100.000 Teilnehmern. Ihrem Protest gegen die damalige FF-Grüne-Regierung machten sich die Iren an der Wahlurne Luft; seither flammt nur gelegentlich Widerstand auf - im vergangenen Jahr beispielsweise gegen die Einführung von Wassergebühren. Davon unbeirrt hat Dublin durch eiserne Sparmaßnahmen das Vertrauen der Finanzmärkte und der EU-Verbündeten zurückgewonnen.

Büßen mussten in den vergangenen Jahren all jene, die mit der Verantwortungslosigkeit der Banken und dem irischen Immobilienboom zu Anfang des Jahrhunderts nichts zu tun hatten. Weil die damalige Regierung unter Druck aus Brüssel und Frankfurt 2008 den irischen Großbanken einen Blankoscheck ausgestellt hatte, musste im November 2010 die Troika dem bankrotten Staat mit 67,5 Milliarden Euro zu Hilfe eilen.

Seither erhalten Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Pensionisten um bis zu 20 Prozent weniger als vor dem Crash; die Einkommen im öffentlichen Dienst fielen um 14 Prozent. Hingegen bekommen Banker und die Verantwortlichen der Aufsichtsbehörden weiterhin ihre sechsstelligen Gehälter, wundert sich Roy Foster, Professor für irische Geschichte an der Uni Oxford. "Die Schere zwischen Arm und Reich ist jetzt viel größer als traditionell in Irland." (Sebastian Borger, DER STANDARD, 7.1.2015)