Die Grünen, bekannt für den Gegensatz zwischen Fundis und Realos, beherbergen noch eine weitere Politikerspezies: Idealos. Der Wirtschaftsfrontmann der Partei, Volker Plass, hat vor wenigen Tagen eine optimierte Politikerpersönlichkeit skizziert. Eine Liste von zehn Eigenschaften; überschaubar, aber wohl nicht erschöpfend, wie der Urheber selbst bekennt.

Zu jedem Punkt ließe sich ausgiebig beratschlagen. Garantiert nicht eine vordergründig reizvolle Kombination aus "Empathie" und "Enthusiasmus" ein Burnout in Rekordzeit? Dokumentierte Fälle gibt es genug, in denen ein dickes Fell ausreichend Schutz geboten hätte. Wie ist es in diesem Szenario um die Delegationsfähigkeit bestellt? Eine der allergrößten Herausforderungen. Schier übermenschliche Anstrengungen erfordern auch eine integrierte Verkörperung von "Enthusiasmus", "Kompromissfähigkeit" und "Weitsicht". Eine psychologische Gratwanderung, bei der die Summe weniger als ihre Teile auszumachen scheint.

Denksportaufgabe

Wer Spitzenpolitiker persönlich kennenlernt, bekommt mitunter eine Denksportaufgabe überreicht: Die gewonnenen Eindrücke sind oft überraschend positiv, manchmal herb enttäuschend. Selten halbwegs in Einklang mit "public images" stehend. Das Feld des Politischen ist dermaßen unübersichtlich, dass alle Beteiligten sich in permanenter Komplexitätsreduktion üben.

Besonders rigide, ja unerbittlich ist das der Fall mit Blick auf persönlichkeitsbezogene (Nicht-)Qualitäten des Politikpersonals: In Österreich wie in anderen Ländern gelten "linke" Politiker beinahe naturgegeben als "sozialer" und "empathischer", wohingegen "rechten" Pendants Leadershipkompetenz zugewiesen wird. Nicht ohne Grund trommelte der einstige SP-Spindoktor Andreas Rudas gegen den "kalten Fisch" Wolfgang Schüssel. Politiker bekennen Farbe, indem sie sich diesen Stereotypen unterwerfen; und gelegentlich unternehmen sie den Versuch, unentschlossene Wähler aufs Glatteis zu führen, wie dies der "mitfühlende Konservative" George W. Bush jr. - erfolgreich - demonstriert hat.

Es steckt viel Richtiges in Plass' Überlegungen. Welche Charaktereigenschaften ein Politiker haben sollte, ist allerdings kontextgebunden je nach ausgeübter Funktion, politischer Arena, entlang der Grenzen inhaltlich definierter Politikfelder, mit Blick auf Spezialisten oder Generalisten des Politikgeschäfts, im Rahmen von Tagespolitik oder im Krisenszenario. Folgerichtig bewirkt ein extrem vielschichtiges, instabiles Anforderungsprofil die Abwesenheit jedweden Konsenses über "ideale" Politiker auch unter Wissenschaftern; zumindest dann, wenn mehr Präzision eingefordert wird, als auf Basis einer additiven Shoppinglist einzulösen wäre.

Die politische Elite läuft Gefahr, sich zur politischen Klasse zu verkrusten. Dieser Prozess scheint in Österreich bereits weit fortgeschritten zu sein. Das Profil des lebenslangen Berufspolitikers, der ein Leben gleichermaßen für die Politik und von der Politik führt - mehrere der bei Plass aufgebrachten Punkte verweisen darauf: die Merkmale Lebenserfahrung, Offenheit und Unabhängigkeit.

Biografische Verarmung

Der Finger wird zu Recht auf diese Wunde gelegt, die klafft mit Blick auf die Absprungbereitschaft von Politikern in staatsnahes Wirtschaftsuniversum und Jobannahme mitunter in ausgewiesener Nähe zur vorangegangenen Politikertätigkeit. Dieses Verhalten beschreibt eine Konsequenz aus kollektiver biografischer Verarmung als Folge prototypischer Karrieren im Parteienstaat.

Den daraus resultierenden Mangel an sozialem Verständnis oder zumindest formaler Repräsentation gilt es zu beheben: Die altersmäßige Repräsentation etwa im Nationalrat (und dank Sebastian Kurz in der Regierung) gelingt mittlerweile recht gut, die geschlechterbasierte kaum, die berufsspezifische überhaupt nicht. Barrieren hemmen in erster Linie den Einstieg erfolgreicher Selfmade-Unternehmer (von vereinzelten Milliardär-Egomanen abgesehen, die nur für ein "Die Partei bin ich" zu haben sind).

Auslese greift nicht

Es dominieren Köpfe aus den "geschützten" beziehungsweise staatsnahen Sektoren. Die Auswahl erfolgt auf schmaler Basis, Talente liegen brach, das Prinzip der Auslese der Besten greift nicht. Um den Zugang zum Wettbewerb um politische Ämter zu öffnen, ihn attraktiver zu gestalten, benötigt es zumindest zwei Änderungen: erstens eine faire Bewertung des Politikerdaseins im öffentlichen Meinungsspiegel; zweitens eine Änderung der Spielregeln in Richtung Personalisierung des Wahlrechts, eventuell im Verbund mit Amtszeitbegrenzungen. Sie wäre den Parteien abzutrotzen, die bemüht sind, eigene Kanäle offen zu halten (Vorwahlen, Quer- und Seiteneinsteiger, "Promis"). Strukturbrechend freilich würde auch dies nicht wirken - an den Parteien führt kein Weg vorbei.

Ein Gelingen repräsentativer Demokratie erfordert keine vollständige Anlage wohlfeiler Charaktermerkmale im einzelnen Politiker. Sie benötigt Mischformen aus erstrebenswerten Eigenschaften und unterschiedliche Politikertypen; dafür kommt der Charismatiker genauso infrage wie der biedere Handwerker, der Berufspolitiker ebenso wie der Quereinsteiger. Je breiter die Auswahl, desto besser. (David M. Wineroither, DER STANDARD, 7.1.2015)