Ulrich Beck wurde 70 Jahre alt.

Foto: CC BY-SA 3.0/wikimedia.org/BeckGroeberKleine

München/Wien – Wie kaum ein anderer Soziologe seiner Generation war Ulrich Beck ein begnadeter Gesellschaftsdiagnostiker – einer, der wie kaum ein anderer seiner Fachkollegen die Zeichen der Zeit zu lesen und ihren Nerv zu treffen verstand. Im entscheidenden Fall half freilich auch das Glück – oder besser: das Unglück – ein wenig mit. Nur wenige Monate, nachdem er 1986 seine Studie "Risikogesellschaft" veröffentlicht hatte, ereignete sich im Atomkraftwerk in Tschernobyl ein Super-GAU.

Kurzfristig gab es sogar das dumme Gerücht, dass hinter Tschernobyl womöglich eine PR-Aktion des Suhrkamp-Verlags stehen könnte. Doch bald war klar, dass der deutsche Soziologe in einer brillant geschriebenen Studie jene Gesellschaft auf den Begriff brachte, in der wir heute leben: eine (Welt-)Gesellschaft, in der Bedrohungen auch vor nationalen Grenzen nicht haltmachen und nicht nur zum "Restrisiko" gehören, sondern eine ihrer Grundbedingungen darstellen.

Einprägsame Begriffe

Die "Risikogesellschaft" – das Buch wurde in 35 Sprachen übersetzt und zu einer der 20 wichtigsten soziologischen Studien des 20. Jahrhunderts gewählt – war der wichtigste Begriff, den Beck prägte. Es sollten aber noch viele andere prägnante Formulierungen und einprägsame Konzepte folgen, die ihn zu einem der produktivsten Stichwortgeber nicht nur für die sozialwissenschaftliche Forschung, sondern auch für die Medien und die Politik machten. Und das führte logischerweise dazu, dass Beck in den vergangenen fast drei Jahrzehnten einer der öffentlich präsentesten Vertreter seines Faches war.

"Reflexive Modernisierung"

1944 geboren, wuchs Beck in Hannover auf, studierte an der Universität München, wo er ab 1992 – nach Professuren in Münster und Bamberg – auch lehrte und forschte. Dazu hatte der leidenschaftliche Europäer, der mit der ebenfalls bekannten Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim verheiratet war, auch Professuren an der London School of Economics and Political Science, an der Fondation Maison des sciences de l’homme in Paris und an der Universität Harvard inne.

Im Kern von Becks theoretischen Überlegungen stand sein Konzept der sogenannten reflexiven Modernisierung. Dieses Konzept geht davon aus, dass als Folgen der industriellen Moderne (der "ersten Moderne" nach Beck) deren eigene Grundlagen – wie der Nationalstaat oder die Familie – von innen und außen erodiert und infrage gestellt werden.

Kosmopolitismus als Theorie und Praxis

Diese sogenannte "zweite Moderne", in der wir heute leben und die auch zu einer neuen Form der Individualisierung führe, benötige laut Beck auch eine neue Soziologie, die den Nationalstaat hinter sich lassen und sich auch theoretisch globalisieren müsse, was er "methodologischen Kosmopolitismus" nannte. Logischer Nachfolger seines Buchs "Risikogesellschaft" war der Band "Weltrisikogesellschaft", in dem er – noch vor der globalen Finanzkrise – unter anderem auf die Entgrenzung und Unkontrollierbarkeit der neuen Risikoszenarien hinwies.

Beck beließ es aber nicht nur bei soziologischen Monografien. Der Theoretiker und Praktiker des Kosmopolitismus war als international gefragter Redner auch Teil des globalen akademischen Berater-Jetsets. Und als Intellektueller im besten Sinne des Wortes mischte er sich mit vielen, meist blendend geschriebenen Essays und Artikeln nicht nur in deutschen Medien immer wieder in aktuelle Debatten ein. So regte er – nicht zuletzt als Lehre aus der jüngste Wirtschaftskrise – die Bildung multinationaler Weltbürgerparteien an und verfasste 2012 mit dem Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit das Manifest "Wir sind Europa!".

Beim letzten Weltkongress für Soziologie, der Mitte 2014 in Yokohama stattfand, war Ulrich Beck noch mit dem "Lifetime Achievement Award" ausgezeichnet worden. Am 1. Jänner 2015 starb der große Soziologe, Intellektuelle und Zeitdiagnostiker mit nur 70 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts. (Klaus Taschwer, derStandard.at, 3.1.2015)