Alles hat seine Zeit, heißt es im Buch Kohelet, Kapitel drei. Ist das noch so? Zwar geben rund um den Jahreswechsel die Feiertage einen eigenen Rhythmus vor. Aber bei vielen herrscht der Eindruck: Alles verändert sich rasant, die Welt scheint im vergangenen Jahr aus dem Takt geraten zu sein. Es ist nicht nur die Geschwindigkeit an sich, mit der sich Entwicklungen vollziehen, sondern Takte und Ereignisse überlagern sich und führen zu einer eigenen Dynamik. Was über Jahrzehnte Gültigkeit hatte, hat keinen Bestand mehr. Es passiert so viel, dass die Wucht der Ereignisse unser aller Koordinatensystem verändert.

Der Kalte Krieg, der spätestens seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 Geschichte zu sein schien, baut sich plötzlich wieder als reale Gefahr auf. Die Auseinandersetzungen in der Ukraine haben uns die Möglichkeit eines Krieges in Europa vor Augen geführt. Das erzwingt Entscheidungen. Zwar haben die Europäer wegen der Annexion der Krim Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt, aber die EU-Staaten sind alles andere als einig über das weitere Vorgehen. Insbesondere die baltischen Länder wollen eine Verschärfung, andere, darunter Österreich, stellen die bisherigen Maßnahmen infrage - angesichts der Folgen im eigenen Land. Die Ukraine drängt weiter auf eine EU- und auch Nato-Mitgliedschaft, deshalb werden sich die Europäer positionieren müssen.

Wie Russlands Präsident Wladimir Putin agieren und reagieren wird, gehört zu den großen Unbekannten 2015. Nicht abschätzbar sind derzeit auch die Auswirkungen des niedrigen Ölpreises und der Sanktionen auf die russische Realwirtschaft.

Dass die Einschränkung der Beziehungen zu Russland negative Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklungen in Europa hat, zeigt sich bereits - unklar ist das Ausmaß. Der Takt, in dem die Konjunkturprognosen für EU-Länder nach unten revidiert werden, hat sich in den vergangenen Wochen deutlich erhöht. Die Wahlen in Griechenland Ende Jänner tun ein Übriges, um die Unsicherheit in der Eurozone zu erhöhen.

In einem anderen Takt läuft die Wirtschaft in den USA: Dort wurden die Konjunkturerwartungen für 2015 vor kurzem sogar auf bis zu drei Prozent Wachstum nach oben korrigiert.

Die Epizentren der Krisen, die die Weltpolitik dominieren, sind Europa auch geografisch näher: Neben der Ukraine ist es der Bürgerkrieg in Syrien, der durch die Terrorgruppe IS zusätzlich angeheizt wird. Die Instabilität in der gesamten Region führt dazu, dass immer mehr Menschen nach Europa fliehen. Das Ende des Kampfeinsatzes der Nato in Afghanistan könnte zu einem noch stärkeren Ansturm führen. Die sich häufenden Nachrichten über Katastrophen auf Schiffen im Mittelmeer lösen hierzulande aber weniger Betroffenheit aus als Flüchtlinge, die auf Herbergssuche durch die Bundesländer geschickt werden. Aus den Medien weitgehend verschwunden ist Ebola, was nicht heißt, dass die Krankheit damit eingedämmt wäre.

Im vergangenen Jahr ist zu viel Schlechtes geschehen. Das gibt wenig Anlass zur Hoffnung, heuer werde sich vieles zum Guten wenden. Der Philosoph Karl Popper spricht von einer "Pflicht, Optimist zu sein". In Zeiten wie diesen fällt das schwer. Umso wichtiger ist dafür jene Einordnung, die Medien bieten können. Um zumindest im Nachhinein ein wenig zu verstehen, warum was zu welcher Zeit geschehen ist. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, 3.1.2015)