Kurt Bayer ist ehemaliger Board Director der Weltbank in Washington und der Europäischen Entwicklungsbank in London, derzeit Research Associate am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Er kritisiert in einem Gastkommentar meine Kolumne über Rechts- und Linkspopulisten in und um Europa, besonders aber über Alexis Tsipras, den Chef des Linksaußenbündnisses Syriza und möglichen kommenden Wahlsieger.

Einem derart ausgewiesenen Kritiker wie Kurt Bayer muss man respektvoll, aber doch entschieden entgegnen: Mir ist völlig unverständlich, wie ein Ökonom "eine Lanze für Tsipras" brechen will und kann. Tsipras ist ein Linkspopulist reinsten Wassers, charismatisch, aber entweder vollkommen skrupellos oder wirtschaftlich ahnungslos (oder beides). Das Rezept von Tsipras lautet: mehr Schulden, mehr Beamte, höhere Gehälter für Beamte, höhere Renten und niedrigere Steuern für alle.

Das ist, wie Spiegel Online schreibt, "in weiten Teilen ein wirtschaftliches Selbstmordprogramm". Die griechische Katastrophe geht genau auf jene jahrzehntelange Misswirtschaft zurück, die Tsipras nun fortführen und potenzieren will: Aufblähung des Staatsapparates, um Parteifreunde zu versorgen, Vernachlässigung des (kleinen) produktiven Sektors zugunsten des trägen Staatsapparates, Klientelismus zum Exzess, nicht vorhandene Steuermoral, sowohl bei den Reichen wie beim gewöhnlichen Bürger, Mangel an Bürgersinn überhaupt. Die Solidarität gilt dem eigenen Clan, der Staat ist zum Betrügen da. Das endet in regelmäßigen Abständen im Beinahe-Staatsbankrott.

Im Grunde musste Griechenland seit seiner modernen Staatsgründung in regelmäßigen Abständen von strategisch interessierten Mächten finanziell gerettet werden: im 19. Jahrhundert von England, Frankreich und Russland, im Ersten Weltkrieg von England und Frankreich, nach dem Zweiten Weltkrieg von den Amerikanern und heute von der EU.

Tsipras will aber noch mehr. Der im Grunde europafeindliche Linkspopulist will auch der Führer einer "alternativen Politik in Europa" sein, die das "neoliberale Experiment" durch "ein Modell für soziale Sicherheit und Wachstum" ersetzen will. Die Übersetzung: Weg mit den bescheidenen marktwirtschaftlichen Ansätzen, hin zu (noch mehr) Staatsintervention. Finanziert würde das (kurzfristig) nach dem Modell Orbán: konfiskatorische Besteuerung von ausländischen Firmen.

Kurt Bayer hat wohl recht, wenn er meint, mit dem reinen Rentenkürzen gehe es in Griechenland, aber auch Italien oder Spanien nicht weiter. Aber die Vorgaben von Brüssel und Berlin laufen ja nicht nur auf bloßes Sparen hinaus, sondern auf Reformen - etwa des kontraproduktiven, aber von linksreaktionären Gewerkschaften erbittert verteidigten Arbeitsrechts in Italien und Spanien: de facto unkündbare Jobbesitzer, aber Junge, die nicht "hineinkommen". Die Strukturen sind versteinert und veraltet. Das sind die wahren Gründe für die andauernde Krise. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 3.1.2015)