WU-Rektor Christoph Badelt sieht auch seine Hochschule nach der Wirtschaftskrise in der Pflicht. Erika Pluhar ging es wie vielen angesichts der Krisenbotschaften aus dem Finanzsektor. Sie hat sich "schlicht nicht hinreichend ausgekannt".

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STANDARD: Frau Pluhar, Sie sind bei einer Sponsionsfeier von Wirtschaftsbachelors als Festrednerin aufgetreten. Warum?

Pluhar: Man hat mich gefragt, ob ich Barbara Prammer verteten kann, die diese Rede zugesagt hatte. Da sie eine wunderbare Frau, Politikerin und Freundin gewesen ist, die mir fehlt, habe ich zugesagt. Nun bin ich mit Wirtschaftsfragen en détail nicht allzu vertraut und hoffe, meine Rede hatte in ihrer Andersartigkeit ihren Sinn. Als Beispiel: Das gnadenlose Vermarkten ist mein Gegner, ich finde, dass wir uns nicht mit Haut und Haar dem Markt unterwerfen sollten.

STANDARD: Herr Badelt, findet Frau Pluhar mit ihrer Kritik an der Wiener Wirtschaftsuni Gehör?

Badelt: Uns geht es darum, Offenheit zu zeigen und die jungen Menschen, die hier auf Wirtschaft getrimmt worden sind, mit ein paar Gedanken zu konfrontieren, die von wo ganz anders kommen. Wo, wenn nicht an einer Universität, sollen kritische Geister leben, herrschen und Raum einnehmen?

Pluhar: Wir müssen achtgeben, dass wir nicht der Anpassung frönen, was in unserer Gesellschaft mehr und mehr auf traurige Weise geschieht - trotz Demokratie und freier Meinungsäußerung. Immer, wenn es wirtschaftliche Krisen gibt, verstummen Menschen und passen sich angstvoll an.

STANDARD: Was sind die Anforderungen einer verantwortungsvollen Ausbildung - gerade an einer Wirtschaftsuni?

Badelt: Die Wirtschaftsuniversitäten haben zur Kenntnis genommen und mussten zur Kenntnis nehmen, dass sie sich aus ihrer Verantwortung für wirtschaftliche und soziale Krisen nicht stehlen können. Hier werden Menschen ausgebildet, die irgendwann in die Führungspositionen der Wirtschaft einrücken und dann Verantwortung tragen. Die Menschen bekommen hier eine fachliche Ausbildung, aber sie müssen sich auch ethisch und sozial verhalten.

STANDARD: Welche Änderungen gab es an der WU seit 2008? Die Wirtschaftsunis wurden weltweit vielfach als mitschuldig an der Krise kritisiert.

Badelt: Wenn man sich die Genesis der großen Wirtschaftskrise ansieht, ist sie am amerikanischen Immobilienmarkt entstanden, wo wahrscheinlich keine WU-Absolventen mitgewirkt haben. Generell geht es darum, die Zusammenhänge zwischen ökonomischen und sozialen Phänomenen zu begreifen. Es geht um Querverbindungen in andere Teile der Welt, in andere Sphären der Gesellschaft und in die Zukunft.

Pluhar: Ich habe mich bei dieser Wirtschaftskrise schlicht nicht hinreichend ausgekannt. Ich wusste nicht mehr, was das alles soll. Wo und wohin sind all diese Geldbeträge? Was überhaupt ist Geld? Mir war das Ganze überaus suspekt, weil es meinem Denken und Handeln in keiner Weise entsprochen hat. In dieser Zockerei bin ich nicht zu Hause.

Badelt: Dieses völlige Abkoppeln von Finanzwelt und realer Wirtschaft war eine der Ursachen der Krise. Aus der Wirtschaftskrise wird eine Finanzkrise des öffentlichen Sektors, und die trifft immer die Benachteiligten am meisten.

Pluhar: Ist es nicht so, dass in so vielen Ländern die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird? Es gibt so unendlich verblödeten Reichtum, bei dem man sich fragt, was das überhaupt soll. Und es gibt entsetzliche Armut.

STANDARD: Es scheint recht klar, wer die Benachteiligten dieser Entwicklung sind - wer sind die, die Verantwortung übernehmen sollten?

Pluhar: Natürlich will man sagen: die Politiker. Die sollten es sein.

Badelt: Ja, wobei ich glaube, dass nicht alles die Politik lösen kann. Es braucht ein ethisches Verhalten von jedem und damit auch von jenen, die die Wirtschaft lenken.

STANDARD: Oft wird gesagt, dass Geld die Rolle einer Religion übernommen hat - teilen Sie diese Ansicht?

Pluhar: Dass Geld zu einer Art neuer Religion geworden ist, auf deren Altar Menschen sich selbst hinopfern, das stimmt wohl. Aber ich kann das persönlich nicht nachvollziehen. Mir war mein Tun, meine Lebensqualität immer wichtiger als das Streben nach Reichtum.

Badelt: Religion ist immer ein starker Wirtschaftsfaktor gewesen - in der Geschichte, aber auch heute. In den starken Strömungen des Islam bis hin zum "Islamischen Staat" gibt es auch starke wirtschaftliche Kräfte, die sich meistens der Analyse von außen entziehen. Andererseits machen Weltreligionen oft inhaltlich interessante ökonomische Aussagen. In vielen Teilen der Welt solidarisiert sich wohlverstandene Religiosität mit benachteiligten und ausgegrenzten Menschen. Von Religion getragene Menschen kommen oft zu ähnlichen Zielen und Maßnahmen wie Menschen mit einem humanistisch geprägten Weltbild: Sie wollen auch das Diesseits verändern. (DER STANDARD, 3.1.2015)