Bei der Rede des Staatschefs Xi Jinping interessierte die Zuseher dessen Büro mehr als der Inhalt.

Foto: Screenshot CCTV

Wie sieht es im Büro von Staatschef Xi Jinping aus, dem nach US-Präsident Barack Obama zweitmächtigsten Mann der Welt? Chinas Blogger wollen es ganz genau wissen. Sie analysieren derzeit alle Fotos, auf die sie Zugriff haben, seit Xi seine Fernsehansprache zum neuen Jahr hielt.

Die Vier-Minuten Rede wurde wie schon 2013 vom Staatssender CCTV am Silvesterabend direkt aus seinem Büro in "Zhongnanhai" übertragen, dem geheimnisvollen Parteisitz im Zentrum Pekings. Diesmal aber war mehr zu sehen, zeigten die Kameras im Rundumschwenk den gesamten Arbeitsraum des Präsidenten. In seinen Bücherschränken stehen noch mehr voluminöse Reihen marxistischer Klassiker oder chinesische Dynastiegeschichten. Doch die Online-Gemeinde hatte nur Augen für die zwischen den Büchern stehenden ausgesuchten und gerahmten persönlichen Fotos des Staatschefs. Er wolle "Privates" bei der täglichen Arbeit um sich sehen, hatte er einst gesagt.

Fußball und Familie

Die meisten Aufnahmen stammen aus seinem Familienkreis, die Bilder zeigen seine Mutter, seine Frau und Tochter oder auch, wie er als konfuzianisch wohlerzogener Sohn seinen greisen Vater Xi Zhongxun im Rollstuhl schob.

Erstmals stellte Xi jedoch auch ein Foto auf, das ihn zusammen mit Ausländern zeigt. Er und seine Frau Peng Liyuan posieren mit der Juniormannschaft des VfL Wolfsburg. Im Rahmen ihres Berlin-Besuchs vergangenen März schaute sich das Ehepaar ein vom Volkswagenkonzern gesponsertes Freundschaftsmatch der Wolfsburger Nachwuchsspieler gegen eine Jugendauswahl aus den Provinzen Hubei und Shaanxi an. Ihr gemeinsames Foto mit beiden Mannschaften fand nun seinen Weg in Xis Bücherregal. Das passte zu der in China gerade Furore machenden Nachricht, dass auch der Profiklub VfL Wolfsburg, Tabellenzweiter der deutschen Bundesliga, mit China ins Geschäft kommt. Im Dezember kaufte er sich den populären Nationalspieler Zhang Xizhe vom Klub Beijing Guoan für mehr als zwei Jahre als Vertragsspieler.

Millionen chinesischer Online-Nutzer entdeckten das neue Fußballfoto noch während der Übertragung der Neujahrsansprache. Die Zuschauer bearbeiteten die Fernsehbilder online, um alle neuen Aufnahmen unter den von sechs Bildern im Vorjahr auf zehn erweiterten Fotos zu identifizieren. So stießen sie auch auf das Bild der Wolfsburger Jugendmannschaft, mit dem sich Xi für sie erneut als Fußballfan outete. Vor kurzem erst hatte er Chinas Erziehungsministerium angewiesen, Fußball als Pflichtfach im Sportunterricht einzuführen. Auch beim Kicken soll China künftig vom derzeitigen Platz 99 auf der Fifa-Rangliste zur Weltspitze aufzurücken.

Hilfe aus dem Propagandaministerium

Die Enthüllungen über die Fotos in Xis Büro sind allerdings weder Zufall noch dem besonderen virtuellen Talent chinesischer Blogger zu verdanken. Das Propagandaministerium half nach. Alles dient dazu, den Personenkult in Bezug auf Xi als "Volkstribun" weiter anzuheizen. Chinas Zeitungen erhielten vorab die Vorlagen zum öffentlichen Abdruck, welche neuen Fotos in Xis Büro stehen. Die "Beijing Times" konnte sie am 1. Januar zusammen mit der Neujahrsrede von Xi drucken. Andere Webseiten offerierten ihren Lesern gar nummerierte Wegweiserkarten, um alle zehn Fotos im Büro von Xi zu dechiffrieren. Von "privaten Fotos" war keine Rede mehr.

Vorbild Obama und "rote Maschinen"

Xis Neujahrsrede ist kein Teil neuer Transparenz. Peking zieht nur international nach und orientierte sich am Vorbild der Obama-Ansprachen aus dem Oval Office. Demonstrativ umgibt sich der 61-jährige Alleinherrscher Xi, der auch Partei- und Armeevorsitzender ist, für seine Rede mit den Symbolen chinesischer Macht. Bei der Ansprache saß er vor einem Gemälde der Großen Mauer und der Staatsfahne. Auf seinem großen Schreibtisch hat er zwei "rote" und ein weißes Telefon stehen. Richard McGregor, Autor des Standardwerks "Die Partei" über die "geheime Welt der kommunistischen Machthaber", nennt die Telefone Teil eines geschlossenen, streng verschlüsselten Kommunikationssystem innerhalb der chinesischen Nomenklatur. Solche "roten Maschinen" dürften nur Parteifunktionäre über Vizeministerrang und rund 50 der höchsten Konzernchefs der Staatsunternehmen in ihren Büros nutzen. Xi hat gleich zwei davon.

Fraglich ist, ob er die klobigen Telefone, offenbar noch Wählscheiben-Exemplare, überhaupt nutzt. Auch die übrigen Utensilien der Büroshow sind Teil einer kalkulierten Inszenierung. Auf der vom Betrachter aus gesehen rechten Seite des Tisches steht ein kunstvoll verzierter chinesischer Bambusbehälter, in dem gespitzte, vielfarbige Stifte stecken, meist in Rot. Mit roten Kreisen zeichneten Chinas Führer ihre Dokumente ab oder machten Anmerkungen. Dann steht ein Lochblattkalender auf dem Tisch mit dem aufgeklappten Datumsblatt 31. Dezember. Auf der linken Seite des aufgeräumten Schreibtisch sind, etwas verloren wirkend, drei Aktenordner und eine Dokumentenmappe platziert. Der TV-Sender Shenzhen schwärmte: "Dies ist doch erkennbar ein richtiges Büro: Hier wird gearbeitet." Er lobte auch den "distinguierten chinesischen Stil" der Einrichtung.

Maos Porträt fehlte

Viele Blogger wunderten sich dagegen, warum kein Porträt von Staatsgründer Mao Tsetung im Büro von Xi hängt. Was wolle Chinas Parteichef ihnen damit sagen? Noch auffallender sei der komplette Verzicht auf sichtbare Computer, Mobiltelefone oder Digitaluhren in dem Büro. Alles sehe aus wie aus dem Museum. China habe heute die größte Online-Gemeinde der Welt, die in den Städten zumindest alles nur noch virtuell erledigt. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete am Freitag zudem stolz, dass auch die ausgewählten Werke von Xi in sieben Sprachen jetzt als E-Bücher auf mehreren digitalen Plattformen erscheinen.

Alte sozialistische Zeit

Xis Schreibtisch, von dem aus China regiert wird, wirkt wie aus einer anderen, noch alten sozialistischen Zeit. Für den Inhalt seiner Neujahrsansprache interessierte sich kaum einer der Blogger. Sie wirkte nüchtern: Ungeachtet der "neuen Normalität" und sinkenden Wachstumsraten müssten die Wirtschaftsreformen, für die 2015 ein entscheidendes Jahr werde, mit voller Kraft weitergehen. "Wir dürfen nicht auf halbem Weg aufgeben. Sonst bringen wir gar nichts zustande. " Zuvor hatte Xi ein neues Motto für seine Politik 2015 ausgegeben: "Die Moral der Nation muss gehoben und darf nicht gesenkt werden." (Johnny Erling, derStandard.at, 2.1.2015)