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Während in Schottland Lobbyisten vor den Folgen des niedrigen Ölpreises wie dem Verlust von Arbeitsplätzen warnen, sehen einige Ökonomen darin eine längst fällige Kostenkorrektur.

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Dem Energiesektor rund um die europäische Ölhauptstadt Aberdeen stehen schwere Zeiten ins Haus. Weil der Preis pro Barrel Rohöl binnen sechs Monaten um 45 Prozent abgerutscht ist, überprüfen Konzerne und kleinere Marktteilnehmer ihre langfristigen Pläne. Selbst zurückhaltende Ökonomen erwarten fürs heurige Jahr den Verlust von 5000 bis 10.000 Arbeitsplätzen. Die Lobbygruppe Brindex sieht den Sektor sogar "kurz vor dem Zusammenbruch": Bis zu 30.000 Jobs stünden auf dem Spiel. "Bei diesen Preisen ist es beinahe unmöglich, Gewinn zu machen", klagt Brindex-Chairman Robin Allan.

In den letzten Jahren hat der schottische Nordosten wieder einmal einen heftigen Boom erlebt. Das rund 220.000 Einwohner zählende Aberdeen weist die höchste Konzentration von Millionären pro Kopf der Bevölkerung auf. Qualifizierte Arbeiter auf den häufig 150 Kilometer von der Küste entfernten Ölplattformen verdienen für 26 Wochen Arbeit im Jahr durchschnittlich umgerechnet 115.000 Euro und damit deutlich mehr als ihre norwegischen Kollegen, die mit höheren Steuern belastet sind.

Kostenkorrektur

Schottische Ökonomen sprechen von einer längst fälligen Kostenkorrektur - seit 2011 seien die Produktionskosten um sagenhafte 62 Prozent gestiegen. "Wir haben drei schwierige Jahre vor uns, ehe wir zu den Höhenflügen des vergangenen Sommers zurückkehren", glaubt Francis Kiernan von der Managementberatung Abis Projects. Ein niedrigerer Preis könne den Sektor wieder effizienter und damit tragfähiger machen.

Optimistischer gibt sich John McLaren vom unabhängigen Edinburgher Thinktank Fiscal Fair Scotland. Schließlich habe sich der Preis für Rohöl häufig ruckartig verändert. "In sechs Monaten kann er 25 Prozent niedriger, aber auch um 100 Prozent höher liegen." In den vergangenen 32 Jahren kostete das Ölfass (159 Liter) der Sorte Brent im Durchschnitt 41,58 Dollar, was eine weitere Preiskorrektur von zuletzt rund 57 Dollar (46,9 Euro) nach unten nahelegen würde. Hingegen rechnen die Analysten von Oxford Economics bis 2020 mit einer Preissteigerung auf 111 Dollar.

Weniger Steuereinnahmen

Handfeste Folgen hat der Preisverfall schon jetzt für den britischen Haushalt. Finanzminister George Osborne stehen deutlich weniger Steuereinnahmen ins Haus als bisher geplant. Das macht auch der schottischen Nationalpartei SNP zu schaffen, die in Edinburgh die Regionalregierung unter Nicola Sturgeon stellt. Im Vorfeld der Volksabstimmung im September waren nämlich die vermeintlich auf Jahrzehnte hohen Einnahmen aus dem Nordsee-Öl ein wichtiges Argument für die geplante Unabhängigkeit. Sie sollte im März 2016 beginnen.

Im ersten Jahr des schottischen Staates (2016/17) prognostizierten die Nationalisten 6,9 Milliarden Pfund (8,8 Mrd. Euro) Öleinnahmen - in Wirklichkeit hätte der Fiskus lediglich 1,25 Mrd. Pfund erhalten, hat jetzt die unabhängige Londoner Budgetbehörde OBR errechnet. Damit bestätigen sich die Bedenken der Wähler, die vor allem wegen der unklaren Wirtschaftspolitik dem nationalistischen Projekt mit 55:45 Prozent eine klare Absage erteilten.

Auswirkungen

Was die Öl- und Gasförderung angeht, erwarten erfahrene Haudegen wie der Aberdeener Professor Alexander Kemp von längerfristig niedrigen Preisen vor allem Auswirkungen auf noch nicht ausgebeutete Ölfelder. Sollte der Preis unter 70 Dollar (57 Euro) pro Barrel verharren, hat Kemp der "Financial Times" anvertraut, würden in den kommenden 35 Jahren statt der bisher geplanten 188 Felder lediglich etwa 85 neu angezapft - schließlich sind mit den Standorten in der Nordsee und dem Nordatlantik westlich von Schottland immens hohe Kosten verbunden. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 2.1.2015)