In seiner Kolumne "Putin, Orbán, Erdogan, Chávez, Tsipras, Renzi" (Standard, 30./31. 12.) beschwört Hans Rauscher die Gefahren von Links- und Rechtspopulisten, die "Europa zielstrebig in eine autoritäre, nationalistisch-völkisch unterlegte Herrschaft steuern". Gemach, gemach, Herr Rauscher, Ihre Liste setzt Äpfel mit Birnen gleich und verkennt mit Ihrem richtigen letzten Satz "Die gemäßigten, verantwortungsvollen Kräfte sind fast überall in der Defensive" die Ursachen und die Verantwortung für die derzeitige politische Misere.

Diese "gemäßigten" Kräfte sind es, die Europa und die Eurozone in die jahrelange Rezession mit zunehmender Verarmung und Hoffnungslosigkeit getrieben haben, die aus ihrer verfehlten Krisenbewältigung nichts gelernt haben und am Austeritätskurs als Hauptstrategie festhalten, obwohl dieser für Rezession, Deflationsgefahr und steigende Schuldenquoten verantwortlich ist.

Ich möchte hier eine Lanze für Renzi und Tsipras brechen, die aber schon wirklich nicht in die obige Liste der "Übeltäter" gehören. Wenn diese beiden sich von Brüssel und Deutschland "nichts vorschreiben" lassen wollen, wenn diese eine neue Wirtschaftspolitik der EU verlangen und teilweise auch dafür Rezepte (wenn auch viel zu wenige und radikale) anbieten, wenn diese die Verantwortung von Deutschland (und anderen) für diese verfehlte Wirtschaftspolitik einfordern, dann bietet dies die ersten Sonnenstrahlen einer Umkehr.

Konstruktive Alternative

Ein bisschen mehr Recherche wäre angebracht. Herr Tsipras hat ja nie, wie derzeit allerorten verkündet wird, mit der Einstellung aller griechischen Zahlungen (Staatsbankrott) gedroht, sondern Verhandlungen mit den Gläubigern vorgeschlagen, die darauf abzielen, den riesigen Schuldenberg Griechenlands bewältigbar zu machen. Griechenland hat seit Krisenbeginn mehr als ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung verloren, die für die vorige Misswirtschaft verantwortlichen Parteien (laut Rauscher offenbar "gemäßigt und verantwortungsvoll") bilden die jetzige Regierung. Ist es da nicht verständlich, und auch wünschenswert, wenn angesichts dieses vollkommenen Vertrauensverlustes der verarmten Bevölkerung konstruktive Alternativen von Syriza angeboten werden? Es nützt nichts, diese Bewegung zu verteufeln und wie Premier Samaras mit einer Panikkampagne die Menschen in der nächsten Wahl von Syriza abhalten zu wollen. Es sind ja nicht die Finanzmärkte, denen die griechische und die europäische Politik dienen sollen, sondern die Menschen.

Rauscher ist auf dem Holzweg, wenn er den mit vor ihrer Unfähigkeit verschlossenen Augen herrschenden Kräften die Stange hält - und den wachsenden Populismus beklagt. Man muss in Europa endlich das Steuer der Wirtschaftspolitik massiv herumreißen, will man die Europäer von der Sinnhaftigkeit der EU (wieder) überzeugen: Machen wir alle so weiter wie bisher, spielen wir den fürchterlichen Vereinfachern und Angstmachern in die Hände. (DER STANDARD, 2.1.2015)