Die Angst davor, überflüssig und ausgemustert zu werden, fährt der Mittelschicht in die Glieder. Es ist die Angst, dass entwertet wird, was man sich mühsam angeeignet und aufgebaut hat.

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Wird die Zukunft für mich besser oder schlechter werden als die Gegenwart? Aus den Antworten auf diese Frage werden Stimmungsbarometer gemacht. Sie gießen in Zahlen, was die Menschen von der Zukunft erwarten, erhoffen und befürchten. Sie beschreiben eine Stimmung, die beeinflusst, wie sich der Einzelne verhält. Gegenüber seinen Mitmenschen, seinen Kindern, der Gesellschaft an sich.

Es kann also nicht optimistisch stimmen, wenn die aktuelle IMAS-Umfrage den Österreichern bescheinigt, wenig optimistisch gestimmt zu sein: Nur 41 Prozent glauben, dass die Zukunft besser wird als die Gegenwart. 50 Prozent der Befragten befürchten, dass die Zeiten für sie düsterer werden. Das ist der schlechteste Wert seit vielen Jahren. Die Menschen glauben, dass es weniger Jobs geben wird und weniger soziale Sicherheit, dass es ihre Kindern einmal schlechter haben werden als sie selbst. Sie sehen bedroht, was ihnen lieb und vertraut geworden ist: Status, Besitz, Sicherheit.

Status: Angst

"Die Zukunft war früher auch besser", hat Karl Valentin gesagt. Die Angst vor dem Morgen, der bange Blick auf das, was kommt - das waren immer schon menschliche Kernkompetenzen. Heute beherrschen sie auch jene, die eigentlich am wenigsten Angst vor der Zukunft haben müssten, weil sie noch Jobs haben, Bildungsabschlüsse, ein Dach über dem Kopf und tragfähige familiäre Netze. Gute Voraussetzungen für Existenzsicherung also.

Die Pessimisten im Stimmungsbarometer sind nämlich keineswegs nur die sogenannten "Systemverlierer", also jene, denen Prekarität und soziale Unsicherheit schon länger vertraut sind. Sorgenvoll in die Zukunft blicken vor allem die, die noch etwas zu verlieren haben: die Angehörigen der Mittelschicht. Statuspanik beutelt heute jene, die noch über Status verfügen und an soziale Stabilität gewöhnt sind.

Der deutsche Soziologe Heinz Bude nennt dieses Phänomen in seinem 2014 erschienenen Buch über die Gesellschaft der Angst das "Sicherheitsparadox". Es besagt, dass die Empfindlichkeit für Unsicherheiten mit dem Ausmaß der Sicherheit wächst. Wer also im gut ausgebauten Sozialstaat auf eine sichere Pension zusteuerte und sich daran erfreute, dass sein Lohn im Laufe der Jahre automatisch stieg, für den bedeutet wirtschaftliche Stagnation Rückschritt und Abstieg.

Bude: "Je besser es einem geht, aber auch je unwahrscheinlicher eine weitere Steigerung des Lebensstandards ist und je ähnlicher sich die Lebenslagen werden, umso mehr Angst haben die Leute vor Verlust, Beschneidung und Zurücksetzung." Erfolgreiche gewerkschaftliche Kämpfe und ein österreichisches Spezifikum namens Sozialpartnerschaft bescherte der Mehrheit der Menschen hierzulande jahrzehntelang ruhige Nächte, jährlichen Italienurlaub und das angenehme Gefühl, dass es da ein Netz gibt, das einen im Falle des Falles auffangen wird.

Gelassen in die Zukunft

Das heißt freilich nicht, dass die, die ohnehin wenig oder nichts zu verlieren haben, gelassen in die Zukunft blicken. Wer im Niedriglohnsektor arbeitet, trotz Arbeit arm ist, seine Kinder alleine erzieht oder Migrationshintergrund hat, hat es mit existenziellen Sorgen zu tun, die sich die gesättigte Mitte nicht vorstellen kann. So trifft heute eine Mittelschicht, die sich angstvoll an ihre liebgewonnenen Sicherheiten klammert, auf eine sozial abgehängte Arbeiterklasse ohne Perspektive und ein Prekariat, das kaum mehr etwas zu verlieren hat.

Es trifft die Angst der einen vor dem sozialen Abstieg auf die Wut der anderen darüber, nie eine Chance auf Aufstieg gehabt zu haben. Das führt dazu, dass die gesellschaftliche Solidarität schwindet - zwischen denen "oben" und "unten", zwischen Einheimischen und Zuwanderern, Jung und Alt, Männern und Frauen. Die Angst, den sozialen Anschluss zu verlieren oder um den Aufstieg gebracht zu werden, den man verdient zu haben glaubt, sie lässt Angstbeißerei, Fremdenfeindlichkeit, Arroganz von oben und Distinktionsexzesse gedeihen - je nach Schichtzugehörigkeit und Habitus der Betroffenen.

Wo sich jeder angstvoll selbst am nächsten ist, werden Eigenheime blickdicht umzäunt, Pfründe gesichert, Autos zu Panzern hochgerüstet und die Kinder in die Privatschule geschickt. Die Abschottung im Privaten dient als vermeintlicher Schutz und heimelige Zufluchtsstätte vor den scheinbar unkontrollierbaren Verwerfungen der Gesellschaft.

Trutzburg Kleinfamilie

Die Kleinfamilie im Outfit des Neobiedermeier wird zur Trutzburg gegen die Auflösung sämtlicher Sicherheiten. Fast 70 Prozent der unter 30-jährigen Deutschen geben heute an, lieber ein sicheres Leben mit bescheidenem Wohlstand führen zu wollen als ein Leben mit großen Chancen, aber vielen Risiken. Der gegenwärtige Wunsch vieler junger Frauen, sich selbst auf die Rolle der Mutter und Hausfrau zu reduzieren, falls das Gehalt des Partners es zulässt - er ist wohl auch in diesem Lichte zu sehen.

Wie sich Menschen verhalten, wenn Sicherheiten wegbrechen, hat vor allem damit zu tun, welche Werte und Haltungen sie entwickelt haben. Macht einem die Zuwanderung Angst, oder schaut man mit freundlicher Neugierde auf die, die da kommen? Kann man damit umgehen, dass es zwischen Männlein und Weiblein auf der Geschlechterskala noch etwas gibt? Sieht man im neuen Kollegen eine Bereicherung oder eine Bedrohung? Wie unterschiedlich Menschen mit ihren Ängsten umgehen, zeigt sich etwa darin, dass der eine die Demonstration gegen Sozialabbau oder Ausländerhass organisiert, während die andere fremdenfeindliche Bewegungen wie Pegida unterstützt oder rechtspopulistisch wählt. Angst kann zu beidem führen - zum Affekt und zur Analyse. Politik sollte zur Analyse befähigen, nicht Affekte reizen.

Das Spiel der Populisten

"Wer Angst hat, ist immer im Recht" - auf dieser Überzeugung fußt der Populismus. Er schürt die Angst des Einzelnen und verspricht einfache Antworten, wo differenzierte Betrachtung gefragt wäre. Er signalisiert den Menschen: Was du erreicht hast, wird durch Fremde, durch Frauen und "Sozialschmarotzer" gefährdet. Er fragt nicht danach, warum die Gesellschaft auseinanderdriftet, warum Arme ärmer und Reiche reicher werden und der Hass auf Minderheiten wächst. Er macht das Gegenteil: Er nährt den Angstreflex, anstatt ihn zu beseitigen. Deshalb hat der Populismus leichtes Spiel, wenn Sicherheiten schwinden und die Angst die Kontrolle übernimmt.

"The only thing we have to fear is fear itself." Das hat der Sozialreformer Franklin D. Roosevelt in seiner Antrittsrede als US-Präsident gesagt. "Für Roosevelt war der Umgang mit der Angst der entscheidende Maßstab für das öffentliche Glück und den sozialen Zusammenhalt", schreibt Heinz Bude.

Wie hast du's mit der Angst? Das ist wieder die Gretchenfrage einer Gesellschaft, die unter Druck gerät, weil das Aufstiegsversprechen nicht mehr hält. Der Vertrauensverlust in die Politik und der Verlust von Sicherheiten: Sie sind Voraussetzungen dafür, dass die Angst gedeihen kann. (Lisa Mayr, DER STANDARD, 3./4.1.2015)