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Die US-Filmemacherin Laura Poitras war der Erstkontakt Edward Snowdens: Er schrieb ihr, sie hätte sich selbst als Ansprechperson empfohlen. Der Beginn einer unglaublichen Geschichte.

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Edward Snowden (li.) mit dem Journalisten Glenn Greenwald im Hotelzimmer in Hongkong, wo sie sich das erste Mal trafen: ein Herzstück aus "Citizenfour".

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STANDARD: Ich möchte mit einer Szene aus "Citizenfour" beginnen, die wie aus einem Spielfilm wirkt: Sie filmen das Gespräch zwischen Edward Snowden und dem Journalisten Glenn Greenwald 2013 in dem Hotel in Hongkong, als plötzlich der Feueralarm losgeht. Hatten Sie je das Gefühl, in einen Paranoia-Thriller geraten zu sein?

Laure Poitras: Ich werde öfters nach dem Genre-Anteil an meinem Film gefragt. Doch im Hotelzimmer war es tatsächlich so, dass wir Angst hatten. Wir machten uns große Sorgen, dass etwas Seltsames im Gange ist. Warum geht ein Feueralarm los, wenn wir gerade über die NSA sprechen?

STANDARD: Snowden schrieb Ihnen zu Beginn per E-Mail, Sie hätten sich selbst als Partnerin empfohlen. Was haben Sie da gedacht? Haben Sie die Sache sofort für echt gehalten?

Poitras: Das ist schwer zu beantworten. Es ist ein wenig wie in anderen Situationen im Leben, wenn man nicht hundertprozentig sicher ist. Oft trifft man jemanden, findet die Person sympathisch, weiß aber nicht, wer sie ist. Man geht die Sache aus mehreren Blickwinkeln an. Ich habe die E-Mails gleich sehr ernst genommen, fühlte mich geschmeichelt, und dann wurde ich richtig nervös. Zugleich blieb ich skeptisch, vorsichtig. Ich dachte nicht, dass es sich um einen Verrückten handelt, aber es hätte eine Falle sein können. Und es blieb unvorstellbar, schließlich handelte es sich um die geheimste Organisation der Welt. Noch nie kamen von dort Dokumente zum Vorschein.

STANDARD: Und warum gerade Sie?

Poitras: Als Snowden sagte, dass ich mich selbst gewählt hatte, bezog er sich wohl auf den Umstand, dass ich selbst auf einer Watchlist stand. Ich bin sehr oft an Grenzen aufgehalten worden. Er meinte wohl, ich sei deshalb für diese Themen besonders sensibel, weil ich selbst ein Ziel war. Und dass ich trotzdem weitergearbeitet habe, mich also davon nicht abkriegen ließ. Snowden hatte keine Beziehung zu Journalismus. Er hat die Hände wirklich in die Dunkelheit ausgestreckt. Wie trifft man da seine Wahl? Wen kontaktiert man? Wem vertraut man? Und wer hat die technische Fähigkeiten, um überhaupt mit ihm zu kommunizieren?

STANDARD: Dass er wenig Erfahrung hat, kann man im Film gut sehen. Er fragt oft nach, probiert unterschiedliche Strategien aus. Hatte er keinen klar überdachten Plan?

Poitras: Als er mir sagte, er wolle nicht anonym bleiben, drängte ich darauf, dass wir uns treffen sollten. Er war aus verschiedenen Gründen dagegen. Snowden wollte nicht die Story sein. Und er meinte, es wäre gefährlich, wenn wir uns am selben Ort aufhielten. Er machte sich Sorgen, dass das die Aufdeckung gefährden konnte, denn die Regierung würde alles tun, um uns zu stoppen. Er hatte die Entscheidung getroffen, ein Whistleblower zu werden. Den Rest, dachte er, würde er quasi auf dem Weg herausfinden.

STANDARD: Man wundert sich ja auch, warum ein Mensch dieses Risiko eingeht: Ich hatte den Eindruck, man kann es ein Stück weit verstehen, aber die alles entscheidende Antwort entwischt. Haben Sie eine?

Poitras: Meine Antwort darauf ist – und das versuche ich schon auch zu sagen –, dass er jemand ist, für den das Internet sehr wichtig ist; in dem Sinn, was es für die Menschheit sein könnte. Er hatte eine Position, in der er sehen konnte, wie es genützt wird, um Informationen zu kontrollieren. Das war seine Motivation, glaube ich. Seine biografische Situation ist kompliziert: Er kommt aus einer Familie, in der viele für die Regierung gearbeitet haben. Er war selbstbewusst, als er dem Militär, der CIA und der NSA beigetreten ist. Er hatte keine Absicht, ein Whistleblower zu werden. Doch die Kombination aus seiner Geschichte, dem Umstand, dass er daran glaubt, dass das Internet gut ist, und jenem, dass er daran mitwirkte, dieses Potenzial zu zerstören – das war die fundamentale Bruchstelle.

STANDARD: Einmal sagt Snowden, er möchte, dass man das "Ziel" gut lesbar auf seinem Rücken sieht. Da wirkt er sehr heroisch. Später kann aber man erkennen, wie ihm die Situation insgesamt zugesetzt hat.

Poitras: Das erscheint widersprüchlicher, als es ist. Was er mit dem Satz mit dem Ziel auf dem Rücken meint, ist, dass er als Quelle nicht geschützt werden will. Zugleich soll er nicht zu seiner eigenen Geschichte werden; er will nur verhindern, dass das Leben seiner Mitarbeiter beeinträchtigt wird. Er übernimmt Verantwortung. Eine Quelle offenzulegen, das ist jedoch etwas, was ein Journalist immer zu verhindern versucht. Angesichts der Umstände war es irgendwo klar, dass es anders laufen würde. Natürlich würde die Presse nicht einfach an ihm vorbeigehen.

STANDARD: Sie arbeiten dokumentarisch in der Direct-Cinema-Tradition. Es geht weniger um Informationen als um den Fokus auf Personen, Situationen. Wie ließ sich dies im engen Setting des Hotels bewerkstelligen?

Poitras: Direct Cinema ist lebendiger und hat eine Unvorhersehbarkeit, die ich liebe. Es gibt Momente, in denen ich nicht weiß, was als Nächstes passiert. Mir war klar, dass ich in Hongkong dokumentiere, wie sich Journalismus entfaltet – und damit ein Stück Geschichte. Doch die Angst war so groß, dass ich nicht wirklich wusste, was ich filme. In diesem Fall war ich ganz allein, habe Ton und Kamera selbst gemacht. Ich habe versucht, auf das zu antworten, was ich sehe. Auf seltsame Art hatte ich hier das Gefühl, ich müsse mich auf die Fähigkeiten verlassen, die ich über die Jahre hinweg aufgebaut hatte. Als ich ins Hotelzimmer kam, dachte ich, das es etwas Klaustrophobisches hat. Ich hatte kaum Platz, um zu arbeiten. Die Wände, das Bett – alles war weiß!

STANDARD: Was die Konzentration jedoch durchaus steigert.

Poitras: Erst jetzt, im Nachhinein, ist mir klar, dass das alles sehr wirksam ist. Retrospektiv sieht es aus wie im Auge des Orkans. Alles wirkt unheimlich, ruhig, aber man weiß, dass etwas passieren wird. Das geschieht erstaunlich oft in Situationen, in denen man denkt, etwas würde nicht funktionieren. Ich hatte eine ähnliche Situation im Irak, wo ich einen Arzt filmte, der für die Wahl kandidierte. Am Tag der Wahl wollte ich ihn begleiten, doch er entschied sich, zu Hause zu bleiben. Ich dachte, das sei ein Desaster. Doch am Ende stellte sich heraus, dass es der bewegendste Teil des Films war. Man konnte sehen, wie besiegt er aussah, wie verletzlich. Man braucht Distanz, um erkennen zu können, dass das, was man eigentlich wollte, vielleicht gar nicht das Interessanteste war.

STANDARD: Snowden wirkt auch verwundbar. Ich hatte den Eindruck, das liegt u. a. daran, dass Sie ihn in T-Shirts, Bademantel, manchmal auch barfuß zeigen. Eine bewusste Entscheidung?

Poitras: Nicht direkt. Ich habe nicht gesagt, dass er das T-Shirt wechseln soll! Für das Interview, das wir im "Guardian" veröffentlicht haben, bat ihn Glenn jedoch, ein Button-down-Shirt anzuziehen. Er sagte: "Wir werden das nicht im T-Shirt drehen!" Snowden hatte nur das eine Hemd dabei. Aber ansonsten habe ich einfach darauf reagiert, wie er sich zeigte. Er hatte eine sehr verletzliche, offene Seite, wohl vor allem deshalb, weil er nicht wusste, was von einem Tag auf den anderen passieren würde. Es gab keine Zeit zu überlegen, wie man sich präsentieren sollte. Er hatte eine Grenze überschritten. Es gibt eine gewisse Aufrichtigkeit in dem, wie er ist, sich verhält in diesen Tagen.

STANDARD: "Citizenfour" ist nicht zuletzt auch ein Film über couragierten Journalismus, der sich von vielen Seiten bedroht sieht. Verstehen Sie den Film auch als eine Art Utopie dafür, wie es mit diesem Metier weitergehen könnte?

Poitras: Ich bin mir nicht sicher, ob es sich um eine Utopie handelt, aber diese Journalisten stellen endlich infrage, ob wir die richtige Richtung gewählt haben. Was wir in den USA, nunmehr zehn Jahre nach 9/11, sehen können, ist ein endloser Krieg, der Krieg gegen den Terror. Als Reaktion auf diese Strategien herrschte lange ein moralisches Vakuum: Das inkludierte Folter, Guatánamo, den Irak-Krieg – die Liste ist ziemlich lang. Ich interessierte mich schon länger für einen Journalismus, der schwierige Fragen stellt. Ich wollte einen Film über Seymour Hersh drehen, einen der bekanntesten investigativen US-Journalisten. Doch er sagte ab. Ich fragte mich, was passieren würde, wenn seine Generation einmal abtritt. Dann habe ich viel von Glenn Greenwald gelesen. Er hatte etwas Neues an sich, er fragte hart, überschritt ideologische Grenzen. Snowden dachte darüber wohl ähnlich, weil ja auch er zuerst Greenwald kontaktierte.

STANDARD: Wenn Sie ein Resümee ziehen: Wie verhält sich das Momentum des Films zum damaligen Leak?

Poitras: Mir war nie klar, was ich erwarten kann. Die Reaktionen auf den Film waren sehr positiv, auch aus Großbritannien, wo der Widerstand oft sehr groß war. Ich glaube, dass der Film neue Räume öffnet, um über all die Themen nachzudenken. Ich habe ihn nicht gemacht, um die Wahrnehmung Snowdens zu verändern, denke aber, dass er das leistet. Weil man so viel Zeit mit ihm verbringt, entwickelt man ein anderes Verständnis seiner Person. Ich beschreibe den Fall als Filmemacherin, nicht nur aus einer Nachrichtenperspektive. Dieser Film erlaubt mir zu sagen, warum Überwachung eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Ich kann es mit emotionaleren Mitteln tun, mit Musik, Tönen, Bildern.

STANDARD: Sie leben nun seit längerer Zeit schon in Berlin. Wie stark hat das Ihr Leben verändert?

Poitras: Ich kam aufgrund bestimmter Umstände nach Berlin. Ich konnte den Film nicht in den USA drehen. Und nun ist "Citizenfour" in vielerlei Hinsicht ein Berlin-Film. Die künstlerischen Mitarbeiter sind alle von hier, er wurde hier gemacht, er ist aus der Stadt. Ich fühle mich in gewisser Weise heimatlos, denn ich habe keinen Ort mehr, das ich mein Zuhause nenne. Ich kam hierher, weil die Rechtssituation für mich besser ist, aber ich habe nicht erwartet, dass man mich willkommen heißt. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 31.12.2014/1.1.2015)