Reinhard Kannonier, Rektor der Kunstuniversität Linz, sieht es wie sein Minister Reinhold Mitterlehner: Den Universitäten fehlt eine Milliarde

Foto: Jürgen Grünwald

Linz - Im September entschied sich Reinhard Kannonier dafür, seinen Vertrag als Rektor der Kunstuniversität Linz nach vierzehn Jahren im Amt doch noch einmal zu verlängern, Uni-Rat und -Senat sprachen ihm einstimmig das Vertrauen aus. Räumliche und inhaltliche Expansionspläne waren bei der Entscheidungsfindung wohl mitbestimmend. Bis 2019 soll der von Adolf Krischanitz geplante Um- und Ausbau des zweiten Brückenkopfgebäudes zwischen Hauptplatz und Nibelungenbrücke, des Pendants zum derzeitigen Kunstuni-Hauptgebäude, abgeschlossen sein.

Veranschlagt sind dafür netto 19 Millionen Euro, brutto 36 Millionen - inklusive aller Reserven und prognostizierten Steigerungen bis 2019. Spätestens im Mai sollten die Kräne auffahren, die vom Denkmalamt abgeschmetterte gläserne Aufbaukonstruktion wird in Minimalvariante verwirklicht. Außerdem soll in der Tabakfabrik ab Herbst 2015 ein Modestudium installiert und mit der Stadt Linz 2016 das Valie Export Center realisiert werden.

STANDARD: Was hat die Kunstuni Linz, das die anderen fünf Kunstschmieden des Landes nicht haben?

Kannonier: Gute Frage. Wir haben sicherlich ein Standortproblem. Für uns ist es am schwierigsten, gute internationale Studierende nach Linz zu bekommen. Nach Wien will jeder. Die Angewandte holt sich internationale Stars für Architektur oder Mode. Wir schauen eher auf Nachhaltigkeit und eine andere Form der Ausbildung, mit eigenen Formaten und Angeboten. Hochqualitative, ästhetische Alltagsgestaltung steht an oberster Stelle, das gilt für Städteplanung, Architektur und für Industriedesign. Das ist bei uns eine sehr technisch-naturwissenschaftliche Ausbildung, die mit dem Diplomingenieur abschließt. Wir Menschen sind akustisch und ästhetisch umweltverschmutzt; dem wollen wir entgegenwirken. In einem Ranking von Architekturfakultäten belegen wir den ersten Platz, noch vor der ETH Zürich. Andere österreichischen Unis sind gar nicht gereiht.

STANDARD: Wodurch wird sich das Linzer Modestudium von dem in Wien unterscheiden?

Kannonier: Wir gehen eine Kooperation mit dem Ars-Electronica-Center ein. Stichwort: intelligente Kleidung. Das zweite große Thema wird Nachhaltigkeit bzw. Ethik. Und wir konnten den Weltmarktführer einer hochwertigen Naturfaserproduktion, die oberösterreichische Lenzing AG, als Partner gewinnen. Auch der Studienaufbau ist neu: Wir wollen keine Meisterklassen, sondern internationale Expertinnen und Experten für ein paar Monate nach Linz holen, damit sie einen bestimmten Fachbereich betreuen. Dieses Modell gibt es noch nirgends in Europa.

STANDARD: Kunstuniversitäten können sich ihre Klientel per Aufnahmsprüfung aussuchen. Hielten Sie dies auch für andere Studien für sinnvoll?

Kannonier: Schwierige Frage. Gesellschaftspolitisch klar nein. Pragmatisch: ja. Wer eine Kunstuni besuchen will, weiß, was ihn erwartet. Wir haben daher auch kaum Dropout-Raten. Für sinnvoll halte ich die Studieneingangsphase. Denn ich stelle fest, dass den Universitäten Aufgaben zufallen, die eigentlich Schulen übernehmen müssten. Viele tun sich mit Verschriftlichung schwer oder mit neuen Medien.

STANDARD: Wie sehr hat sich in Ihrer bisher vierzehnjährigen Amtszeit der Habitus der Studierenden verändert?

Kannonier: Wir haben heute eine unglaublich brave, sehr angepasste Studierendenpopulation.

STANDARD: Hängt das auch mit dem Bologna-Prozess zusammen, über den viele klagen, er verschule das Studium?

Kannonier: Ich teile die Bologna-Skepsis nicht. Man kann trotz des Bologna-Prozesses Freiräume schaffen, die der Verschulung entgegenwirken. Entschlackung der Studienpläne ist für uns ein großes Thema. Um sich entfalten zu können, brauchen Studierende das Trial-and-Error-Prinzip. Deshalb haben wir viele modulare Angebote. Die Wahlfreiheit ist groß, das fördert die Interdisziplinarität. Und der Vorteil von Bologna ist zweifellos, dass es europaweit vergleichbare Ausbildungen gibt, was die Mobilität steigern sollte.

STANDARD: Die Rektorenschaft war frustriert, als Reinhold Mitterlehner vor einem Jahr die Wissenschaftsagenden von Karlheinz Töchterle übernahm. Wie lautet Ihr Urteil?

Kannonier: Der Anfang war sehr positiv. So wie es jetzt ausschaut, werden die Unibudgets nicht gekürzt. Mitterlehner hat im Ministerium rechnen lassen und ist auf exakt das gleiche Ergebnis gekommen wie die Rektorenkonferenz schon in den vergangenen Jahren: Uns fehlt eine Milliarde. Ich habe jetzt fünf Minister - Gehrer, Hahn, Karl, Töchterle, Mitterlehner - erlebt, aber das war eine Premiere.

STANDARD: Sie haben 1200 Studierende und 300 Lehrende; ein höchst luxuriöses Verhältnis im Vergleich zu den Massenunis. Spüren Sie Neid der Rektorenkollegenschaften?

Kannonier: Seit der Ausgliederung 2004 sind wir Konkurrenten geworden. Der Vorteil ist aber, dass uns die großen Universitäten gar nicht so wichtig nehmen. In realen Zahlen sind wir unbedeutend. Wir bekommen rund 20 Millionen Euro im Jahr; die Kepler-Universität 800 Mio. Euro - allerdings bei 18.000 Studierenden.

STANDARD: Wie sehen Sie die Entwicklung, dass Universitäten zunehmend private Sponsoren finden müssen?

Kannonier: Wenn es wirklich zusätzlich zu den Subventionen dazukommt, ist es in Ordnung. Von den Kunstunis haben wir hier in Linz am meisten Drittmittel, nämlich zwischen zehn und fünfzehn Prozent unseres Gesamtbudgets. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 29.12.2014)