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Der edle Greifer im Flug: Die Falknerin und Historikerin Helen Macdonald hat über den österreichischen Vogel des Jahres 2015 das vielleicht beste britische Sachbuch des Jahres 2014 geschrieben

Foto: APA/RSPB-IMAGES.COM/MARK HAMBLIN

Helen Macdonald, "H is for Hawk", £ 14,99 / 300 Seiten. Jonathan Cape, London 2014

Cover: Jonathan Cape

Wien - Sein wissenschaftlicher Name verrät bereits viel über den Vogel des Jahres 2015: Accipiter gentilis bedeutet so viel wie edler Zugreifer. Als solche sind Habichte einerseits seit Jahrhunderten als Jagdbegleiter in der Falknerei im Einsatz, bewundert für ihre Kraft und Eleganz. Andererseits werden die Greifvögel von Bauern und Jägern als Fasanen- und Hühner-"Diebe" gehasst.

Auch unter Falknern hat der Habicht einen eher ambivalenten Ruf: Er gilt als launisch, wild und blutdürstig. Ein solcher Vogel schien genau das Richtige, das Helen Macdonald vor mehr als sieben Jahren brauchen konnte. Der überraschende Tod ihres Vaters hatte die damals 35-jährige Falknerin und Historikerin an der Universität Cambridge in eine Lebenskrise gestürzt. Ihre erste Zähmung eines Habichts sollte ihr helfen, darüber hinwegzukommen.

Denn eine solche Abrichtung bedeutete, sich mehrere Wochen lang beinahe ausschließlich mit dem Raubvogel zu beschäftigen, 24 Stunden am Tag, ohne Kontakte zur Welt da draußen - und dabei womöglich auch ein wenig von der animalischen Identität des Habichts anzunehmen und sich ein wenig abzuhärten für den Umgang mit dem Leben und dem Tod. Das war zumindest der Plan.

Liebe auf den ersten Blick

Zuerst einmal muss ein Jungtier besorgt werden. Die erfahrene Falknerin, die schon mehrere Falken abgerichtet und mit Greifvögeln in Dubai gearbeitet hat, fährt mehrere hundert Kilometer weit bis an die schottische Grenze, um sich dort für 800 Pfund einen weiblichen Jungvogel zu besorgen. Allein die Beschreibung der ersten Eindrücke, die Macdonald von "Mabel" hat - eine Art Liebe auf den ersten Blick -, zählt mit zum Besten, was es an Prosa über Tiere zu lesen gibt.

Doch das ist bloß der großartige Auftakt von "H is for Hawk", einem brillant geschriebenen Sachbuch, das vor allem die Geschichte der Zähmung von Mabel und die intensive Beziehung zwischen Macdonald und ihrer gefiederten Begleiterin erzählt: die Tage des vorsichtigen Sich-aneinander-Gewöhnens, die ersten Übungen mit dem fliegenden Habicht an der Leine bis hin zu Mabels erfolgreicher Jagd auf Fasane und Hasen.

Training als Therapie

Zugleich ist das Buch der offenherzige Bericht über eine Depression und deren Überwindung, zu der Mabel mit beitrug - ein Habicht, der sich als besonders zutraulich herausstellte. Dazu erzählt Macdonald als Parallelgeschichte auch noch die gescheiterte Zähmung eines Habichts, über die der englische Schriftsteller T. H. White einen Klassiker verfasst hat.

En passant wird man auch noch in die Wissenschaft der Falknerei eingeführt. Man erfährt von der Bedeutung des richtigen Fressens, mit dem die Tiere versorgt werden müssen, und lernt, dass der Habicht ständig zu wiegen ist, da er für die Flugübungen weder zu schwer noch zu leicht sein darf. Der preisgekrönte Bestseller vermittelt aber noch sehr viel mehr: Das Buch ist eine Kulturgeschichte der britischen Landschaft und der jahrtausendealten Kunst der Abrichtung von Greifvögeln zur Beizjagd.

Macdonald spart dabei aber auch die problematischen Aspekte nicht aus - etwa die Begeisterung der Nazis für die Greifvögel, aber auch die blutige Praxis der Beizjagd. All das macht "H is for Hawk" nicht nur zu einem der großartigsten Werke, das je über einen Vogel verfasst wurde, sondern auch zu einer der ergreifendsten Studien über die Beziehungen zwischen Mensch und Tier. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 27.12.2014)