In Kommentaren zu unserem Bericht wenden Exponenten, die sich angesprochen fühlen, häufig ein, aus heutiger Sicht könne man natürlich einfach sagen, dass Fehler gemacht wurden. Fünf Jahre später sei es einfach, alles zu wissen. Eine ehemalige Finanzministerin hat diese Rüge in die Worte gekleidet: "Am Montag weiß ich auch, was am Samstag die richtigen Lottozahlen gewesen wären." Der Vorwurf, die Kommission habe gewissermaßen besserwisserisch aus der Rückschau geurteilt, ist freilich falsch.

Wer sich die Mühe macht, den Bericht zu lesen, stellt sofort fest, dass dieser Fehler gerade vermieden wurde. Die Kommission hat bei ihren Wertungen die Grundsätze der "Business Judgment Rule" sinngemäß angewandt. Dabei handelt es sich um eine im US-Gesellschaftsrecht entwickelte Haftungsbeschränkungsregel, die in das deutsche, schweizerische und österreichische Recht übernommen wurde und den Handelnden zugutekommt. Im Folgenden, die Anwendung der Business Judgment Rule durch die Kommission anhand der Entscheidung des Finanzministeriums (BMF) zur Verstaatlichung der Hypo-Alpe-Adria-Bank International (HBInt) vom 14. Dezember 2009:

  • Die Business Judgment Rule besagt, dass die Akteure vor einer Verantwortung für die Folgen ihrer Entscheidungen geschützt sind, sofern diese mit der gebotenen Sorgfalt vorbereitet wurden. Die Entscheidung, die HBInt zu verstaatlichen, wurde deshalb nicht mit dem Wissensstand von heute untersucht, sondern im Lichte der Fakten und Erkenntnisse des Jahres 2009. Den Entscheidungsträgern wurde Handlungsspielraum zuerkannt. Dabei sind die Überprüfung der Verstaatlichungsentscheidung selbst und ihre Vorbereitung auseinanderzuhalten.

Für Erstere, also die Entscheidung "verstaatlichen oder nicht" und, wenn ja, "in welcher Ausgestaltung", stand den politischen Akteuren ein Ermessen zu. Da jede unternehmerische oder politische Entscheidung mit Risiken verbunden ist, die im Vorfeld nicht abschätzbar sind, stellt dieses Ermessen die Entscheidung von der Frage nach richtig oder falsch frei. Konsequenz der Business Judgment Rule ist, dass selbst wirtschaftlich katastrophale Auswirkungen einer Handlung noch nicht deren Fehlerhaftigkeit indizieren. Die Untersuchungskommission hat deshalb nicht geprüft, ob das Ergebnis – die Verstaatlichung – richtig war. Gerade deshalb geht auch der weitere Vorwurf, sie habe keine bessere Alternative aufgezeigt, ins Leere.

Gewissenhaft vorbereitet?

Die Freistellung von einer inhaltlichen Überprüfung und einer etwaigen Verantwortlichkeit für Entscheidungen, die sich im Nachhinein als nachteilig herausstellen, gilt aber nur dann, wenn die Vorbereitungsphase sorgfältig und gewissenhaft durchlaufen wurde. Das bedeutet, dass das in der konkreten Situation gebotene Verfahren durchgeführt wurde, alle relevanten Informationen zusammengetragen wurden und die Entscheidung frei von Interessenkonflikten zustande kam.

"Recht auf Irrtum"

Hätten die politischen Akteure entsprechend gehandelt, so hätten sie ein "Recht auf Irrtum bzw. Fehler" gehabt. Welche Informationsgrundlage dabei als "angemessen" anzusehen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Je komplexer und risikoreicher eine unternehmerische oder politische Entscheidung ist, desto genauer müssen sich die Verantwortlichen vorab informieren.

  • Die Untersuchungskommission ist gestützt auf diese Grundsätze zu dem Ergebnis gekommen, dass die Entscheidung zur Verstaatlichung der HBInt durch das BMF in Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt gestützt auf Empfehlungen und Handlungen anderer Akteure ungenügend vorbereitet war und somit voreilig getroffen wurde. Die zahlreichen Versäumnisse und Fehlentscheidungen der verantwortlichen Entscheidungsträger wurden detailliert aufgelistet:

1.) In einem vom BMF angeforderten Gutachten hatte die OeNB zu beurteilen, ob die HBInt grundsätzlich gesund ("sound") oder nicht gesund ("distressed") war. Die OeNB antwortete, dass die HBInt "nicht distressed", also nicht notleidend sei. Damit erfüllte die OeNB ihre Aufgabe nicht.

2.)_Das BMF verabsäumte es, eine eindeutige Beurteilung einzufordern, und gewährte der HBInt Partizipationskapital von 900 Mio. Euro zu Bedingungen für grundsätzlich gesunde Banken. Damit wurde die Gelegenheit verpasst, die Bank zur Lösung ihrer strukturellen Probleme anzuhalten.

3.) Die Finanzprokuratur als Rechtsberaterin des Bundes richtete zwar Anfragen an FMA und OeNB, die sich jedoch auf die Vergangenheit und nicht auf die Erarbeitung einer Verhandlungsposition des Bundes bezogen.

4.) Das BMF verabsäumte es, den OeNB-Bericht vom 23. November 2009, der eine umfangreiche Liste gravierender Mängeln enthält, bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Denn trotz der Missstände und der Tatsache, dass keine Überprüfung der Bank ("Due Diligence") durchgeführt worden war, verzichtete der Bund auf jede Gewährleistung für einen bestimmten Zustand der HBInt.

5.) Bei angemessener Informationsbeschaffung hätte sich insbesondere die Annahme, dass die BayernLB eine Insolvenz der HBInt in Kauf nehmen würde, in einem neuen Licht gezeigt. Zumindest hätten die Vertreter des Bundes auf die der BayernLB drohenden Verluste hinweisen und damit ihre Verhandlungsposition stärken können. Eine Prüfung der von der BayernLB gewährten Darlehen nach Eigenkapitalersatzrecht hätte den Verhandlern auch erlaubt, den wirtschaftlichen Wert der von der BayernLB angebotenen Leistungen einzuschätzen.

Ganz allgemein fehlte es an ausreichenden Kenntnissen des Eigenkapitalersatzrechts und des Insolvenzrechts. Insgesamt kam die Untersuchungskommission zu dem Ergebnis, dass die Verstaatlichungsentscheidung ohne ausreichende Informationsgrundlage getroffen wurde.

6.) Das BMF hat seine Pflicht zur Einholung eines situationsadäquaten Rats verletzt. Angesichts der Komplexität der Dinge und der Tatsache, dass die Gegenseite professionell vertreten war, hätten externe Experten mit erforderlichem Spezialwissen und Erfahrung herangezogen werden müssen.

7.) Für all das hätte ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden.

Insgesamt hat das geschilderte Vorgehen dazu geführt, dass der Finanzminister in der Verstaatlichungsnacht keine valablen Alternativen zur Verfügung hatte und der Insolvenzdrohung somit nicht widerstehen konnte.

  • Damit wurden die Grundsätze der Business Judgment Rule nicht eingehalten. All diese Verfehlungen und Versäumnisse der politischen Funktions- und Entscheidungsträger und Aufsichtsbehörden stellen deshalb vorwerfbare Pflichtverletzungen dar. Im Gesellschaftsrecht würde man von der fehlenden Sorgfalt eines "ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters" (§ 84 Abs. 1 Aktiengesetz) sprechen.

Enormer Schaden

Dass die Verstaatlichung der HBInt zu einem enormen finanziellen Schaden für die Republik Österreich geführt hat und zu weiteren Schäden führen kann, ist offensichtlich. Das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen vorwerfbaren Pflichtverletzungen und dem Schaden kann schwerlich bestritten werden. Der Schaden ist deshalb eingetreten, weil politische Funktionsträger und Aufsichtsbehörden die Verstaatlichung ohne angemessene Informationsgrundlage beschlossen haben. Umgekehrt wäre der Schaden ohne pflichtwidrige Handlungen und Unterlassungen der verantwortlichen Organe und Behörden nicht – oder jedenfalls nicht in diesem Ausmaß – eingetreten.

Es war nicht Aufgabe der Untersuchungskommission, die zivilrechtliche, strafrechtliche oder politische Haftung der handelnden Akteure festzustellen. Die Anwendung der Business Judgment Rule hat aber zu dem Ergebnis geführt, dass das gebotene Verfahren nicht eingehalten wurde, dass keine ausreichende Informationsgrundlage bestand und dass kein kompetenter Rechtsrat eingeholt wurde, obwohl ausreichend Zeit zur Verfügung stand. Hätten die handelnden Akteure dies getan, so wäre ihnen das negative Ergebnis ihrer Entscheidungen nicht vorzuwerfen. Da sie es nicht getan haben, tragen sie dafür Verantwortung. Um in dem oben zitierten Bild zu bleiben: Niemand verlangt von den politischen Funktionsträgern und Aufsichtsorganen, dass sie die richtigen Lottozahlen vor der Ziehung kennen. Gefordert ist aber, dass sie den Lottoschein korrekt ausfüllen und rechtzeitig abgeben und den Preis bezahlen, damit sie überhaupt an der Ziehung teilnehmen können. (Carl Baudenbacher, DER STANDARD, 27./28.12.2014)