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Eine von der IS beschlagnahmte christliche Kirche in Mossul: "Eintritt verboten, Befehl des Islamischen Staats", teilt die "Behörde der öffentlichen Verwaltung" mit. Moderne Nutzbauten haben bessere Chancen als historische Gebäude, sie werden meist zerstört.

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Patriarch Louis Raphael: Wir fasten für die Befreiung von Mossul und der Ebene von Niniveh, damit alle zurückkehren können.

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Das strenge dreitägige "Ba'utha-Fasten" der chaldäischen Christen - einige andere orientalische Kirchen haben den Brauch übernommen – fällt eigentlich in die Zeit zwischen Weihnachten und Aschermittwoch: Es erinnert an die alttestamentarische Geschichte der Bekehrung der Menschen von Niniveh durch den Propheten Jonas. Aber heuer hat der chaldäische Patriarch Louis Raphael I. Sako seine Gläubigen aufgerufen, sich bereits vom 22. bis zum 24. Dezember, dem Heiligen Abend, von Sonnenaufgang bis -untergang des Essens und Trinkens zu enthalten. Und sie sollten überhaupt auf mondäne Weihnachts- und Neujahrsfeiern verzichten.

Für die irakischen Christen ist es das bitterste Weihnachten seit Menschengedenken. Via Youtube hat sich ein Interview mit dem Erzbischof von Mossul, Mor Nicodemus Daoud Sharaf, verbreitet: "Es hat immer Kriege in unserem Land Irak gegeben, aber immer haben wir in den Kirchen von Mossul und Umgebung gebetet. Seit 1500 Jahren ist es das erste Mal ..." Der Bischof bricht in Tränen aus und weint, lange und still, vor der laufenden Kamera.

Auf dem heutigen Stadtgebiet Mossuls, der Hauptstadt der Provinz Niniveh, befindet sich am östlichen Tigris-Ufer die historische Stadt Niniveh. Viele Christen der Region, die seit 2003 immer mehr unter Druck des radikalen Islam kamen, träumten von einer eigenen christlichen Provinz, bestehend aus drei Bezirken nordöstlich von Mossul. Der "Islamische Staat" (IS), der im Juni 2014 in Mossul, Hauptstadt der Provinz Niniveh, einzog, hat nun die auf etwa 1800 Jahre geschätzte christliche Präsenz in der Stadt und den umliegenden Dörfern beendet. Die Christen sind geflohen oder wurden umgebracht, ihr Hab und Gut beschlagnahmt.

Zerstörungswut

Christliche Kirchen und Klöster und andere Einrichtungen wurden und werden zerstört – etwa das Kloster der chaldäischen "Schwestern vom Heiligen Herzen", das die IS zuvor längere Zeit selbst benützt hatte, erst Ende November. Andere Gebäude werden "umgewidmet", manchmal in Moscheen. In dem, was vom Kloster des Heiligen Georg übrigblieb, soll sich jetzt ein Gefängnis befinden. Besonders historische Bauten haben die islamistischen Bilderstürmer im Visier – das gilt allerdings auch für Stätten, die dem Volksislam und dem schiitischen Islam zuzurechnen sind. Schrein und Moschee des Jonas – auch dem Islam gilt er als Prophet – wurden im Juli dem Erdboden gleichgemacht, ebenso der Schrein des Propheten Seth.

Gesicherte Zahlen über den Exodus der irakischen Christen gibt es nicht: 2003, als die US-Armee Saddam Hussein stürzte, sollen es noch etwa 1,5 Millionen gewesen sein, circa fünf Prozent der Bevölkerung. Zehn Jahre später waren es 200.000 bis 450.000. Laut einem irakischen Parlamentarier waren vom Vormarsch der IS im Sommer 2014 160.000 Christen betroffen, etwa Zehntausende direkt in der Stadt Mossul. Viele davon fanden in den Kurdengebieten Aufnahme.

In Bagdad und in anderen irakischen Städten gingen im Sommer solidarische Muslime mit dem auf die Kleidung gehefteten Buchstaben "N" – wie Nasrani, Christ – auf die Straßen. Aber man sollte sich nicht allzu viele Illusionen machen: Auch wenn der "Islamische Staat" besiegt ist, werden die zahlreichen christlichen Gemeinschaften nicht mehr im Irak leben wie früher. In Mossul haben Teile der Bevölkerung die IS willkommen geheißen: Die Behandlung der Christen wurde in Kauf genommen, manche ihrer ehemaligen Nachbarn haben wohl von ihrer Flucht profitiert.

Eine Bilanz der Zerstörung der Kulturgüter wird man erst ziehen können, wenn der Albtraum einmal vorbei ist: Sie betrifft neben Relikten aus vorislamischer Zeit auch Bücher und Manuskripte aus Mossuls christlichen Bibliotheken. Einige konnten durch den Einsatz von Einzelpersonen gerettet werden, sie werden zum Teil an unbekannten Orten versteckt: Außer jenen von der IS gibt es noch genügend andere Fanatiker, die sie gerne zerstören würden. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 24./25./26.12.2014)