Bild nicht mehr verfügbar.

Ein aus Sinjar geflohenes jesidisches Mädchen im Nordirak im September.

Foto: REUTERS/Ahmed Jadallah

London – Die Extremistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) verübt in der von ihr kontrollierten Region nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen an Mädchen und Frauen. Hunderte oder sogar tausende Frauen und Mädchen der jesidischen Minderheit im Irak seien Opfer schlimmster sexueller Gewalt, erklärte Amnesty am Dienstag in London.

"Folter, Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt an jesidischen Mädchen und Frauen, die entführt wurden, belegen das Ausmaß der Verrohung der Gruppe, die sich selbst 'Islamischer Staat' nennt", erklärte Amnesty. Bisher sei es rund 200 Mädchen gelungen, aus der IS-Gefangenschaft zu fliehen, hunderte wären aber weiterhin in der Gewalt der IS. Die meisten von ihnen seien am 3. August gefangengenommen worden, als die IS-Milizen die Sinjar-Region in ihre Gewalt brachten.

Zwangsverheiratungen

Viele der als Sexsklavinnen gehaltenen Mädchen seien jünger als 14 Jahre. Sie würden zwangsverheiratet, als "Geschenke" an islamistische Kämpfer übergeben, gefoltert und vergewaltigt. Seit August gebe es eine "Welle der ethnischen Säuberung" durch die IS-Miliz in der Region Sinjar, erklärte die Menschenrechtsorganisation.

Suizid statt Gefangenschaft

Der Bericht erzählt auch die Geschichte von jungen Mädchen, die eher Suizid begehen, als sich der Gewalt der IS-Kämpfer auszuliefern. Verwandte von gefangenen Frauen und Mädchen fürchten auch, dass das Trauma der Gefangenschaft auch nach ihrer Befreiung noch Suizidgedanken auslösen könne.

Methode: Interviews Betroffener

Der Bericht von Amnesty International beruht auf Interviews von 42 Frauen, die zwischen September und November 2014 im Norden des Irak von einem Amnesty-Rechercheur durchgeführt wurden. Weitere vier Frauen, die noch in Gefangenschaft sind, konnten telefonisch kontaktiert werden. Amnesty interviewte auch jesidische Frauen, deren Verwandte entweder in Gefangenschaft waren oder noch sind. Um die Identität der Frauen in Gefangenschaft zu schützen, wurden einige Namen, Orte und andere Details verändert oder zurückgehalten.

Stellvertretend für andere berichtete Amnesty über das Schicksal der 19-jährigen Jilan, die sich nach Angaben ihres Bruders aus Angst, vergewaltigt zu werden, selbst tötete. Ein Mädchen, das gemeinsam mit Jilan verschleppt worden war und entkommen konnte, bestätigte die Angaben: "Eines Tages brachte man uns Tanzkleider und befahl uns, zu baden und sie anzuziehen. Jilan schnitt sich noch im Badezimmer die Pulsadern auf und erhängte sich. Sie war sehr schön. Sie wusste, dass sie von einem Mann verschleppt werden würde, deshalb brachte sie sich um."

Eine weitere ehemalige Gefangene berichtete, wie sie und ihre Schwester vergeblich versuchten, sich mit Schals gegenseitig zu strangulieren, um einer Zwangsehe zu entgehen. Sie sei ohnmächtig geworden und habe tagelang nicht sprechen können, sagte die 27-jährige Wafa. Zwei andere Frauen hätten sie schließlich daran gehindert, sich zu töten. "Sie haben unser Leben zerstört", sagte die 16-jährige Randa, die mit ihrer Familie verschleppt und von einem doppelt so alten Mann vergewaltigt worden war.

Weder versteckt, noch geleugnet

Die IS-Kämpfer haben weder versucht, die Verbrechen zu verstecken, noch haben sie versucht, sie zu leugnen, steht im Bericht zu lesen. Im Gegenteil: Die IS habe sich bemüht, Details ihres Vorgehens publik zu machen. Videos von Hinrichtungen ihrer Gefangenen sind in den sozialen Netzwerken geteilt worden – oft in verschiedenen Sprachen.

Allianz gegen IS-Miliz

Gegen den IS-Vormarsch hat sich eine internationale Allianz gebildet, an deren Spitze kurdische Kämpfer gegen die Islamisten vorgehen. Sie werden von Luftangriffen vor allem der USA unterstützt. Vier Monate nach Beginn der Offensive der Extremistenmiliz steht die Stadt Sinjar nun offenbar vor der Rückeroberung durch kurdische Kämpfer. Große Teile des Ortes seien bereits eingenommen worden, sagte Kurdenpräsident Massud Barzani am Sonntag bei einem Besuch des Sinjar-Gebirges in der Nähe der Stadt. Mit einem Sieg in Sinjar hätten die Kurden die meisten Gebiete zurückerobert, die sie an die Extremisten im Sommer verloren hatten. (red/APA, 23.12.2014)