Der neue Rechnungshofbericht zu den Einkommen der Österreicher bietet nicht nur für Zahlenfreaks interessantes Material. Er könnte auch einen entscheidenden Impuls für die aktuelle Debatte über die Steuerreform zwischen ÖVP und SPÖ liefern. Denn der Bericht zeigt auf: Die Leistungsgesellschaft in Österreich ist in akuter Gefahr. Das ist die vielleicht wichtigste Quintessenz des Reports, die man freilich nur zwischen den Zeilen herauslesen kann.

Der Rechnungshof legt dar, dass sich Arbeiten finanziell immer weniger auszahlt. Das Einkommen der Österreicher liegt heute inflationsbereinigt unter jenem von 1998. In den vergangenen 15 Jahren lag die Teuerungsrate mit vier Ausnahmen immer über den Lohnsteigerungen.

Die Einkommensverluste treffen zwar nicht nur die Ärmsten. Insgesamt zeigt sich aber, dass die soziale Schere weiter aufgeht. Jenes Viertel der österreichischen Arbeitnehmer mit dem geringsten Verdienst bekommt heute um fast 25 Prozent weniger Reallohn als noch 1998. Nur die Bestverdiener schaffen in dieser Rechnung ein Plus. Selbst die Zahl jener Menschen ist erschreckend hoch, die trotz eines seit Jahren kontinuierlichen Arbeitsverhältnisses weniger Lohn mit nach Hause nehmen.

Sogar wer sich also Wohnen, Essen und Einkaufen leisten kann, tut sich immer schwerer damit, etwas für sich oder die Kinder anzusparen. Dieses Ergebnis müsste die Regierung aufrütteln. Der wichtigste Baustein einer modernen Leistungsgesellschaft ist, dass nicht allein Herkunft und vererbte Besitztümer über den sozialen Status eines Menschen entscheiden sollen. Die wichtigsten Einflussfaktoren müssen Fleiß, Ehrgeiz und Kreativität sein. Aber davon kann keine Rede mehr sein.

Mehr noch: Nicht nur der finanzielle Aufstieg klappt nicht. Die Zahlen zeigen sogar, dass Leistung keinen Schutz mehr vor einem kontinuierlichen Abstieg bietet.

Nun könnte man an dieser Stelle einwenden, dass der Lohnverlust der Menschen anderswo kompensiert wird. Wer zumindest sein Erspartes aus der Vergangenheit gewinnbringend in Aktien und Immobilien investiert hat, kann die Einkommensdelle ja eher verschmerzen. Aber auch hier kommt ein Verteilungsproblem ins Spiel: Das Vermögen ist in Österreich laut einer großangelegten Studie der Nationalbank von 2012 sogar deutlich ungleicher verteilt als Löhne. Die 3,77 Millionen Haushalte halten hochgerechnet zwar rund eine Billion Euro an Nettovermögen. 40 Prozent müssen aber mit maximal 50.000 Euro auf dem Konto das Auslangen finden. Das ärmste Zehntel verfügt überhaupt gerade einmal über 1000 Euro an Ersparnissen.

An dieser Stelle müsste auch jener Teil in der ÖVP aufschrecken, der sich vehement gegen Erbschaftssteuern wehrt und bei Vermögensabgaben auf der Bremse steht. Es kann nicht im Interesse einer modernen Industriegesellschaft sein, wenn Arbeitnehmer das Gefühl bekommen, immer weniger vom Wohlstandskuchen abzubekommen. Auch Unternehmer müssen ein Eigeninteresse daran haben, hier etwas zu ändern: Leistungsloses Erben wird belohnt, während fleißige Arbeitnehmer nichts gewinnen können. Dieses Bild ist fatal. Um einen Ausgleich zu schaffen, müssten Lohnsteuern runter und vermögensbezogene Steuern, besonders für Erbschaften, rauf.

Übrigens prognostizieren die Wirtschaftsforscher auch für 2015 einen Reallohnverlust.(András Szigetvari, DER STANDARD, 23.12.2014)