Der erste Angriff erfolgte am Samstag im zentralfranzösischen Ort Joué-lès-Tours: Ein 20-jähriger Franzose burundischer Abstammung stürmte die Polizeiwache und verletzte drei Beamte mit einem langen Messer im Gesicht. Ein vierter Polizist streckte ihn darauf mit seiner Dienstwaffe nieder.

Der zweite Vorfall schockierte die Franzosen noch mehr: Am Sonntagabend raste in der Burgunderstadt Dijon ein etwa vierzigjähriger, psychisch sehr labiler Mann mit seinem Auto fünfmal hintereinander in Passanten. 13 Personen, darunter Kinder, wurden dabei zum Teil schwer verletzt. Dass es keine Toten gab, war fast ein Wunder. Der Amokfahrer wurde verhaftet.

Am Montagabend steuerte zudem ein Unbekannter seinen Lieferwagen in die Besucher eines Weihnachtsmarktes in Nantes (Westfrankreich). Er verletzte zehn Leute und versuchte sich danach mit einem Messer zu erstechen, überlebte aber schwer verletzt. Über sein Tatmotiv herrschte vorerst Unsicherheit. Im Inneren des Wagens wurden zusammenhanglose Notizen gefunden.

Die Täterprofile ähneln sich möglicherweise in Bezug auf das Motiv. Laut Ohrenzeugen riefen beide Männer immer wieder "Allahu Akbar" – auf Arabisch "Gott ist größer". Der Autofahrer soll sich darüber auf palästinensische Kinder bezogen haben.

Militärs im Visier

Laut Staatsanwältin Christine Tarare hatte er seit einer Woche eine Dschellaba (arabisches Gewand) getragen, um "besser beten zu können". Als Zielscheibe habe er in einer ersten Einvernahme nicht so sehr Zivilisten, sondern eher Polizisten und Militärs genannt. Einer terroristischen oder islamistischen Propaganda sei dieser Mann nicht gefolgt, denn "er hat zu Hause nicht einmal Internet". Er sei vielmehr ein psychiatrischer Fall und habe auch im Auto seine Pillen dabeigehabt.

Der halb so junge Messerstecher aus Joué-lès-Tours hatte auf seinem eigenen Facebook-Konto die Flagge der syrisch-irakischen Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) aufgeschaltet. Er stammte aus einer zerrütteten Familie und war vor vier Jahren zum Islam übergetreten. Bekannte berichteten auf französischen TV-Sendern, er habe sich kürzlich radikalisiert und verstört gewirkt.

Innenminister Bernard Cazeneuve hatte schon am Sonntag angekündigt, die Sicherheitsvorkehrungen in Polizeikommissariaten und Feuerwehrzentren würden verstärkt. Seit Monaten ist in Frankreich das Anti-Terror-Dispositiv Vigipirate mit Soldaten-Patrouillen in Flughäfen und Bahnhöfen und vor Kaufhäusern aktiviert. Ein Sprecher Cazeneuves erklärte am Montag, es gelte, "gelassen" zu bleiben: "Wir dürfen nicht in Panik geraten."

Innenminister warnt vor voreiligen Schlüssen

Cazeneuve selbst warnte zwar bezüglich der Tätermotive vor "voreiligen Schlüssen". Im gleichen Atemzug fügte er selber an, es sei "das Ziel der Terroristen, Angst zu machen". Womöglich meinte er damit eher die Islamistennetze, die über französische Internetseiten zum Jihad im Mittleren Osten und zu Anschlägen in Frankreich aufrufen. Erst letzte Woche hatte es in einer solchen Video-Botschaft geheißen, wer keine Schusswaffen für einen Anschlag habe, solle andere Mittel wie Steine oder Messer verwenden.

Wenn die Regierung in Paris die Attacken eher zurückhaltend kommentiert, hat das seinen Grund auch in den politischen Implikationen. Der Vizechef des rechtsextremen Front National, Florian Philippot, erklärte die beiden Amokläufe mit einer "fanatischen Ideologie", der die bürgerlichen und linken Parteien nur mit "Laschheit" begegneten.

Der konservative Abgeordnete Eric Woerth meinte, bei den Tätern handle es sich offensichtlich um Menschen, die "eine Menge Probleme" hätten. Seit Jahresbeginn sind laut Polizeiangaben Hunderte von jungen Franzosen aus Banlieue-Vierteln in den Jihad nach Syrien gereist. Viele kehren frustriert zurück. Die meisten stehen unter geheimdienstlicher Überwachung. Umso größer ist in Frankreich die Angst vor sogenannten "einsamen Wölfen", die durch ihre soziale Isolation oder Misere empfänglich werden für die sehr professionell gemachte Rekrutierung via Social Media; andere gleiten durch die salafistische Missionierung in Gefängnissen in die religiöse Militanz ab. Wirtschaftlich schwierige Zeiten, aber auch Fest- und Feiertage steigern laut Experten ihre Anfälligkeit. Präsident François Hollande rief die Staatsdienste am Montag nach der wöchentlichen Regierungssitzung zu "äußerster Wachsamkeit" auf. (Stefan Brändle, derStandard.at, 22.12.2014)