Trotz des Handicaps einer Krankheit ein Mann voller Optimismus: Eddie Redmayne in der Filmrolle des Astrophysik-Genies Stephen Hawking.

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Trailer zu "Die Entdeckung der Unendlichkeit".

Universal Pictures Germany

München/Wien - Als "Ehe mit vier Partnern" bezeichnete Jane Hawking ihre Beziehung mit Stephen Hawking in ihrer Autobiografie Die Liebe hat elf Dimensionen: Als sie den aufstrebenden Wissenschafter 1965 heiratete, hatte sie nicht nur in der Astrophysik eine starke Nebenbuhlerin. Das Paar musste sich zudem mit der ALS-Erkrankung Stephen Hawkings arrangieren. Zwei Jahre betrug die Lebenserwartung, die die Ärzte angesichts der schweren Nervenerkrankung ursprünglich prognostizierten.

Heute ist Stephen Hawking 72 Jahre alt. Seine Forschungen über das Universum haben unser Weltbild verändert, sein Genie wird in einem Atemzug mit jenem Albert Einsteins genannt. Dass er noch lebt, ist einerseits der modernen Medizin zu verdanken. Hawking spricht etwa nur mehr über eine Computerstimme, die er mit seinen Augenlidern steuert. Welche Rolle andererseits die bis 1990 dauernde Beziehung mit der religiös erzogenen Jane für den Lebensgeist Hawkings gespielt haben könnte, ist das zentrale Thema von James Marshs für vier Golden Globes nominiertem Film Die Entdeckung der Unendlichkeit (The Theory of Everything). In der Hauptrolle ist neben Felicity Jones der 1982 geborene britische Schauspieler Eddie Redmayne zu sehen - dessen Leistung aus dem ansonsten etwas konventionellen Film hervorsticht.

STANDARD: Was war Ihr anfängliches Bild von Stephen Hawking?

Redmayne: Ich sah ihn immer wieder in Cambridge (Redmayne studierte dort Kunstgeschichte, Anm.) aus der Entfernung, flüchtig, umringt von seinen Krankenschwestern und überhaupt von ganzen Scharen von Leuten. Ansonsten wusste ich nicht viel mehr, als dass er über Schwarze Löcher gearbeitet hatte. Ich habe die Wissenschaft schon recht früh aufgegeben.

STANDARD: Und was hat Sie an der Rolle gereizt?

Redmayne: Das Skript zog mich an, gerade weil es meine Erwartungen nicht erfüllte. Ich dachte zuerst, es solle ein Biopic werden, der Film stellte sich dann aber als komplexe und leidenschaftliche Liebesgeschichte heraus. So wusste ich auch, dass ich mit der Wissenschaft im Film umgehen konnte. Und es reizte mich, mit James Marsh zu arbeiten. Seinen Film Man on Wire finde ich hervorragend.

STANDARD: "Die Entdeckung der Unendlichkeit" bezieht sich auf die Wissenschaft ja auch vor allem in ihren Metaphern. Das Schwarze Loch kann man zum Beispiel auch als Bild für die Situation der Familie verstehen.

Redmayne: Ja, es war wichtig, dass der Film keine weitere Dokumentation über die Arbeit Stephen Hawkings würde. Es musste natürlich gezeigt werden, wie zentral die Forschung für ihn ist, aber wir gingen nicht ins Detail, etwa bei der Idee der Expansion des Universums oder der zyklischen Natur der Dinge. Es gab aber auch Zuschauer, die sich mehr Wissenschaft gewünscht hätten.

STANDARD: Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

Redmayne: Ich habe mich auf eine "dreidimensionale Weise" angenähert. Zunächst las ich über die Forschungen Hawkings so viele Bücher, wie ich konnte, und versuchte, so viel wie möglich zu verstehen. Ich ging zuerst auf "Hardcore"-Astrophysik-Websites, dann auf astronomyforkids.org. Und ich traf einen Ex-Studenten Hawkings, der mir Basics nahezubringen versuchte.

STANDARD: Und dann gab es die Krankheit ...

Redmayne: Dafür ging ich vier Monate lang in eine Klinik und traf ALS-Patienten. Sie erzählten mir von ihren Erfahrungen und ließen mich zum Beispiel das Gewicht ihrer Beine halten. Manche luden mich zu sich nach Hause ein. Es ging darum, nicht nur die körperliche, sondern auch die emotionale Belastung auf Familien nachzuempfinden. Stephens Charakter schließlich erarbeitete ich mir über Dokumentationen.

STANDARD: Ist es eine besondere Herausforderung, Menschen zu spielen, die noch am Leben sind?

Redmayne: Man weiß, dass sie den Film sehen werden. Das bedeutet Verantwortung. Eigentlich ist das etwas, was ich hasse: Ich glaube, dass einen diese Verantwortung auch härter arbeiten lässt.

STANDARD: Sie haben die Hawkings schließlich getroffen - wie war das?

Redmayne: Einschüchternd! Wir konnten uns erst ein paar Tage vor dem Dreh treffen. Ich fürchtete, mich monatelang falsch vorbereitet zu haben. Zum Glück war das nicht der Fall. Beim Treffen bekam ich dann jene Zutaten der Figur, mit denen man als Schauspieler arbeiten kann: Stephens positive Lebenshaltung, seinen Humor, seinen Übermut. Wichtig war die Erfahrung, dass ihm Selbstmitleid komplett fehlt. Die Krankheit ist für ihn total sekundär.

STANDARD: Hawking wäre es am liebsten, man würde gar nicht über seine Erkrankung sprechen ...

Redmayne: ... und wir wollten keinen Film über ALS oder die Motorneuronerkrankung machen, sondern eine Menschengeschichte erzählen. Es war schließlich auch gut, dass wir die Körperarbeit so lange im Vorhinein gemacht hatten. So konnten wir uns beim Dreh ganz auf den Spaß und die Leichtigkeit konzentrieren und mussten nicht so sehr auf Einzelheiten wie etwa die Haltung meiner Finger achten. Die Erfahrungen aus dem Treffen konnten wir dabei direkt in den Dreh mitnehmen.

STANDARD: Wie hat Hawking Ihre Performance gefallen?

Redmayne: Ich glaube gut. Und das war eine große Erleichterung. Stephen ist ja niemand, der sich ein Blatt vor den Mund nimmt, er hat eine ausgeprägte Meinung. Die Tatsache, dass es ihm gefallen hat, bedeutet, dass ich wieder schlafen kann.

STANDARD: Was ist das Wichtigste, was Besucher von den Hawkings lernen können?

Redmayne: Jane und Stephen bekamen viele Einschränkungen auferlegt, aber sie ließen sich nicht von ihnen bestimmen. Stephen scheint jede Sekunde seines Lebens so leidenschaftlich auszukosten! Was Menschen definiert, ist vielmehr, wie sie mit den Beschränkungen umgehen: Das versuche ich aus diesem Film mitzunehmen.

STANDARD: Glauben Sie persönlich an die Möglichkeit einer alles erklärenden Weltformel?

Redmayne: Als Bühnenschauspieler fragen mich die Leute manchmal, wie ich es schaffe, ein ganzes Jahr lang dasselbe Stück zu spielen. Ich glaube, der Grund ist, dass man niemals Perfektion erreicht. Man kriegt nie auch nur eine einzige Zeile richtig hin. Man strebt ständig nach etwas, von dem man weiß, dass man es nie erreicht - aber man versucht es eben jeden Abend von neuem. Ich glaube, die Weltformel ist dieses Ding, das dich antreibt, es immer weiter zu versuchen. Aber ich glaube, es geht mehr um die Reise als um die Lösung. (Roman Gerold, DER STANDARD, 23.12.2014)