Hilfe von außen, die das Leben erleichtert: Rushona Bakhtibekoda mit Amnija und Hospiz-Mitarbeiterin Gudrun Madl, im Hintergrund Cousine Shakhzoda.

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Amnija liegt auf der Eckcouch im Wohnzimmer einer Altbauwohnung im weniger reichen Teil des Wiener 14. Bezirks und rollt mit den Augen. Sie hört, dass sich über ihren zarten Körper hinweg zwei Frauen angeregt unterhalten. Eine der beiden Stimmen ist, seit sie denken kann, ihre tägliche Begleitmusik, sie gehört ihrer Mutter. Auch die zweite Frauenstimme ist vertraut, es ist die hohe, sanfte Stimme von "Frau Gudrun". Amnijas Pupillen folgen den Wörtern, die zwischen den beiden Frauen gewechselt werden, als wären es fliegende Bälle.

Lachen, weinen

Die Dreijährige ist fast blind, sie kann nicht laufen, nicht klatschen, sich auch nicht mit Worten ins Gespräch einmischen. Sie kann nur Laute von sich geben, lachen, weinen.

Amnija wurde mit einer Krankheit geboren, die nicht klar diagnostiziert werden kann. Sie wird wohl nie erwachsen werden. Vielleicht lebt sie noch ein paar Jahre, vielleicht auch nicht, niemand weiß es. Ihre Mutter Rushona Bakhtibekoda ist Tag und Nacht bei ihr, wickelt sie, füttert sie mit pürierten Nudeln, Kartoffeln, Gemüse. Nimmt die kleinen Beine in ihre Hände und bewegt sie sanft, damit die Muskeln nicht erschlaffen und der Kreislauf in Schwung bleibt.

Nicht mehr sicher

Wäre alles nach Plan verlaufen, würde Frau Bakhtibekoda jetzt eine Stelle als Universitätsdozentin in Tadschikistan bekleiden. Stattdessen lebt die 32-jährige Chemikerin in Wien, ohne Job, ohne Krankenversicherung, ohne Einkommen. Sie musste flüchten, weil ihr Mann eines Tages nicht mehr nach Hause kam und seither vermisst wird – mehr will sie dazu nicht sagen, doch es wird klar: Sie fühlte sich zu Hause nicht mehr sicher.

Ihr in Wien lebender Bruder holte sie nach Österreich, er lud sie ein, bürgte für sie. Darum erhält sie auch keine Unterstützung vom Staat, obwohl sie als Asylwerberin nicht arbeiten darf. Seit zwei Jahren wartet sie nun schon auf eine Antwort der Asylbehörde. Solange ihr Bruder es sich leisten kann, ihre Miete zu bezahlen, solange werden sie, die kranke Tochter, Schwester und Nichte nicht obdachlos sein. Zu viert leben sie in der kleinen Wohnung, doch wer weiß, wie lange noch, und wer weiß, wie das Asylverfahren ausgeht und wann: Es sind viele Ungewissheiten, die Rushona Bakhtibekodas Leben prägen.

Lichtblicke

Es gibt auch Lichtblicke. Frau Gudrun zum Beispiel. Gudrun Madl vom Kinderhospiz und ihre ehrenamtlichen Kolleginnen, die regelmäßig vorbeikommen, um Amnija zu betreuen, wenn deren Mutter das Haus verlässt, um Termine wahrzunehmen oder den "Mama lernt Deutsch"-Kurs, den ihr das Hospiz vermittelt hat, zu besuchen.

Auf den ersten Blick sind es überwiegend Kleinigkeiten, die von den Betreuern des mobilen Kinderhospizes übernommen werden: füttern, wickeln, ein Gespräch über dies und das. Die sechsjährige Cousine Amnijas auf einen Ausflug mitnehmen. Aber genau diese Dinge sind zentral im Leben der Mutter, sie erleichtern ihr den Tag.

Weg vom Grübeln

Hätte sie das Hospiz nicht, könnte sie nicht zweimal pro Woche am "Mama lernt Deutsch"-Kurs teilnehmen. Für sie wäre es ein schmerzhafter Verlust: "Ich will sehr bald wieder in meinem Beruf arbeiten", sagt die Akademikerin, die ihre Sätze in der anfangs so fremden Sprache, die sich sie allein zu Hause mit einem Internetkurs und mit anderen Frauen im Mama-Kurs angeeignet hat, bedacht und sauber formuliert. Mindestens genauso wichtig sei, dass der Kurs sie aus dem täglichen Grübeln herausreißt: "Wenn ich nur zu Hause bin, bin ich so negativ."

Vereine wie das Kinderhospiz Netz könnten ohne Ehrenamtliche und ohne Spenden nicht existieren. Von Staat und Gemeinde erhalten sie keinen Cent. Auch Politiker, die sich vehement gegen Sterbehilfe und für Sterbebegleitung aussprechen, sind oft seltsam still, wenn es darum geht, diese Betreuung auch zu finanzieren.

Zwar scheint jetzt, da sich auch der Nationalrat in einer eigenen Enquetekommission mit dem Thema Sterbebegleitung beschäftigt, einiges in Bewegung zu geraten. Es gibt das Ziel, die Betreuung todgeweihter Patienten auf geregelte Beine zu stellen. Doch bisher ist wenig passiert. Es liegt an den Ländern, für Angebote zu sorgen.

Auf Spenden angewiesen

In Wien gibt es zwar öffentliches Geld für mobile Pflegeteams, doch die Kinderhospize gehen leer aus. "Es ist nichts Schändliches, bestimmte Dinge über Spenden zu finanzieren", meint dazu Peter Hacker, Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien. Die Bundeshauptstadt biete ohnehin ein "integratives Angebot", das auch mobile Kinderkrankenpflege umfasse.

Vereine wie das Kinderhospiz Netz gehen aber weit über die rein medizinische Pflege hinaus: Es gibt eine eigene Geschwistergruppe, wo sich Kinder, deren Bruder oder Schwester im Sterben liegen, austauschen können, psychologisch betreut werden, gemeinsame Ausflüge machen. Es gibt eine Physiotherapeutin und eine Sozialarbeiterin, die nach Hause kommen.

Die Hospizbetreuerinnen helfen auch dabei, spezielle Tragegeräte anzuschaffen oder beispielsweise einen Löffel zu besorgen, mit dem Amnija die Nahrung so aufnehmen kann, dass sie sie nicht gleich wieder erbricht. Das sind Rundumleistungen, die sonst niemand erbringt. "Wir können nicht alle fördern, sondern nur eine Grundstruktur anbieten", sagt Hacker.

Jahrelange Begleitung

Anders als mobile Erwachsenenhospize, die Patienten erst in der allerletzten Lebensphase betreuen, begleiten Kinderhospize ihre Schützlinge oft über mehrere Jahre hinweg. Die Betreuerinnen kennen die Kinder am Ende schon gut. "Sie mag es, wenn Besuch da ist, sie lacht dann viel", sagt Gudrun Madl über Amnija. "Man merkt, wenn es ihr gutgeht und wenn sie Schmerzen hat." Von vielen Erwachsenen, und seien sie auch noch so eloquent, kann man das nicht behaupten.

Es sind 40 Ehrenamtliche und sieben Hauptamtliche, die derzeit 27 Familien in und rund um Wien betreuen. Die Ehrenamtlichen werden gezielt ausgesucht und geschult, es ist kein leichter Job, der in den Wohnungen der Familien auf sie wartet: Trotz intensiver Pflege wird sich der Zustand der kranken Kinder nicht mehr bessern. Erfolgserlebnisse gibt es dennoch. "Früher hatte ich Angst, wenn Amnija einen Krampfanfall hatte", sagt Rushona Bakhtibekoda. Die Pflegerinnen des Kinderhospizes Netz hätten ihr gezeigt, wie sie damit umgehen kann. "Jetzt geht es mir besser." (Maria Sterkl, derStandard.at, 7.1.2015)