Joe "Tiger" Pachler boxte stets nah am Mann. Seine Stärken: "Die Aufwärtshaken im Infight." Und die Fitness, die ihm einen Weltrekord im Schnurspringen ermöglichte: 6 Stunden, 13 Minuten.

Foto: Helmut Erhardt

Klagenfurt - Joseph Pachlers Plan für den EM-Kampf am 18. August 1978 in der Wiener Stadthalle war prinzipiell nicht schlecht. Der 28-jährige Kärntner, voll im Saft, nach 35 Profikämpfen, von denen er nur zwei verloren hatte, erfahren genug und einfach reif für den großen Coup, wollte den 36-jährigen Titelverteidiger aus Dänemark zermürben. "Ich wusste, dass er 15 Runden nicht stehen kann." Der 1,74 Meter hohe, knapp 67 Kilogramm schwere Weltergewichtler wollte sich hineintigern in die Aufgabe, wie es so seine Art war. Nicht umsonst nannten sie Pachler Joe "Tiger", einige Jahre bevor Sylvester Stallone in "Rocky III - Das Auge des Tigers" wirkte.

Allerdings war der Gegner, Jörgen Hansen, wohlunterrichtet über Pachlers größte Schwäche, über dessen Anfälligkeit für Cutverletzungen an den Augenbrauen. "Also hat er dort hingeschlagen und auch getroffen. Das lässt sich nicht vermeiden", sagt Pachler. Zu sehen sind die Narben, die er boxend erworben hat, auf den ersten Blick nicht. Dafür hat Joe "Tiger" einfach zu viele Lachfalten.

Schlag nach der Glocke

Und wer könnte einem Tiger genau ins Auge blicken, überhaupt, wenn man ihn fragt, wie das dann so war, "Europameister im Liegen" genannt zu werden. Es begab sich nämlich, dass Pachler zu Ende der achten Runde gegen Hansen ein geschlagener Mann war, das linke Auge zugeschwollen, aus einem Cut blutend. Allerdings langte der Däne noch einmal zu, gerade als die Pausenglocke verklang. Pachler, im Abdrehen am Hals getroffen, sackte zusammen. "Mir war plötzlich schwarz vor den Augen, aber mit Riechsalz kann man ja Tote wieder zum Leben erwecken." Als er bei Sinnen war, hörte er Sigi Bergmann, den legendären und legendär engagierten TV-Kommentator, "Bleib liegen!" schreien. Pachler tat, wie ihm geheißen, der Ringrichter tat, was er tun musste, disqualifizierte Hansen. "Ich hätte nach einer Pause weitermachen können, aber es hatte ja keinen Sinn mehr."

Also hatte Österreich knapp acht Jahre nach Hans Orsolics wieder einen Europameister. Heute sind die beiden die einzigen lebenden österreichischen Ex-Boxer, die diesen Titel trugen.

Auch wenn Pachler den EM-Gürtel, der ihm viel Spott und Kritik, aber nur ein paar Schillingtausender eintrug, schon im folgenden Dezember, quasi bei erster Gelegenheit, in Dornbirn an den Briten Henry Rhiney wieder verlor, folgte bei ihm - im Gegensatz zu Orsolics, der sich selbst später so besang - kaum "Potschertes". Das Leben vor dem Ring hatte ihn gründlich genug auf das Leben danach vorbereitet.

Joseph Pachlers Vater war Bauer und Wirt am Weißenberg bei Ettendorf ob Lavamünd. Seine erste Frau gebar sechs Kinder, sie starb, als Joseph, der zweitälteste, neun Jahre alt war. "Ich hatte das Glück, eine zweite Mutter zu bekommen, mein Vater hat wieder geheiratet." Es kamen zwei weitere Geschwister. Und 1965 kam die neue Zeit ins Haus. "Wir hatten den ersten Fernseher weit und breit. Da habe ich den Clay gesehen."

Um Pachler, den vom täglichen, zehn Kilometer langen Schulweg gestählten Fleischerlehrling, war es angesichts der Kunst des späteren Muhammad Ali geschehen. Die ersten Handschuhe verdiente er sich mit Schwammerlsuchen, "und ich habe schon lange vor Rocky auf Fleisch geboxt".

Das Bundesheer bot dann andere Trainingsmöglichkeiten. "Ich bin 1968 eingerückt, Tschechienkrise, die Kameraden sind saufen gegangen, ich boxen, sie sind mit einem Rausch heimgekommen, ich mit einem blauen Auge." Pachlers Talent brachte den Amateur nach Wien, an die Heeressport- und Nahkampfschule (HSNS) in der Maria-Theresien-Kaserne - und zu Josef Kovariks Verein.

Ein Zeitdokument anno 1975: Der Tiger im Kampf gegen den Deutschen Jürgen Voss.
renevienna

Kovarik war Schuster, vor allem aber war und ist er ein legendärer Boxtrainer, der heute noch, mit mehr als 80 Jahren, im Ring steht. Es entwickelte sich eine Vater-Sohn-Beziehung. Der Ziehsohn absolvierte 80 Kämpfe als Amateur, wechselte dann ins Profilager, weil der Ziehvater und er dort seine Stärken, Ausdauer und Kämpferherz, besser aufgehoben sahen. Eine Erstrundenniederlage bei der Amateur-EM 1973 in Belgrad hatte den Ausschlag gegeben. "Ich war noch nicht einmal warm gewesen, da war das Turnier für mich schon vorbei."

Pachler, kein Fechter mit der Faust ("Dafür habe ich zu wenig Reichweite"), debütierte im November 1973 als Profi. Hans Orsolics erlitt im Jahr darauf seine letzte Niederlage, "danach war das Boxen in Wien mehr oder weniger tot", sagt Pachler, der in die Bundesländer auswich. Er boxte in Graz, Villach, aber auch viel in Vorarlberg, weil er in Jack Amsler einen Schweizer Manager fand. Der hat zwar mit Künstlern wie den Travestiestars Mary & Gordy mehr Geld verdient, Pachler aber zusammen mit Kovarik klug durch die Fährnisse des Boxgeschäfts geführt.

Den Lebensunterhalt der Familie - mit seiner Frau Elisabeth hat er drei heute erwachsene Kinder - verdiente Pachler aber weiter beim Bundesheer. "Die Erlaubnis kam von ganz oben, vom Bernadiner." Ernest Bernadiner, Chef des Stabes beim Armeekommando, duldete den Profi in der Truppe unter der Voraussetzung, "dass ich kein Prügelknabe bin". Und Pachler hatte sich um die Boxer der HSNS zu kümmern, eine "nicht immer einfache Aufgabe". Zuweilen musste er dafür geradestehen, wenn seine Burschen ihr Können respektlos wirkenden Kameraden ziemlich niederschmetternd demonstrierten.

Pachler stellte sich auch anderen, noch schwierigeren Aufgaben, etwa Hansen zu einem Rückkampf in dessen Heimat. "Ich lass mich nicht einen feigen Hund nennen, außerdem habe ich dort Ali kennengelernt." Am 31. August 1981 ist dann Schluss, Pachler gewinnt seinen letzten Kampf, wird in Villach Meister im Weltergewicht - live bei Sigi Bergmanns Sport am Montag. "Ich habe für mich mit 31 Jahren alles erreicht gehabt." Der Kampfrekord: 37 Siege, davon 13 vorzeitige, sechs Niederlagen, ein Remis.

Danach wendet sich Pachler wieder an einen Vorgesetzten, salutiert diesmal gleich bei Minister Otto Rösch auf, um in die Heimat versetzt zu werden. Er gründet in Klagenfurt einen Boxverein, wirkt als Trainer, freut sich über Goldmedaillen seiner Schützlinge bei Box-Militärweltmeisterschaften, etwa in den USA. Und er stellt sich die Frage: "Saufen oder laufen?" Pachler landet unweigerlich beim Marathon. 25 Mal vergnügt er sich auf der klassischen Strecke, in Wien, aber auch Berlin, New York, Florenz - Bestzeit: 2:58,30 Stunden, gelaufen 1999 in Graz.

Prinz Eugen zum 50er

Im Jahr darauf ereignete sich für Pachler einer "der schönsten Tage meines Lebens, nach einem meiner schwersten Kämpfe". Kärnten erhält im Zuge der Dezentralisierung des Heeressports in Faak am See ein eigenes Leistungszentrum, Pachler wird mit der Leitung betraut, am 26. Juli 2000 erfolgt die Einweihung, "quasi zu meinem 50er. Sie haben den Prinz-Eugen-Marsch für mich gespielt."

In den folgenden zwölf Jahren hat Pachler die Größen des Kärntner Sports unter seinen Fittichen, darunter die Olympiasieger Thomas Morgenstern und Matthias Mayer. Eishockeyspieler wenden sich an ihn, aber bei Schlägereien anlässlich des Derbys KAC gegen VSV "war von meiner Boxschule bald nichts mehr zu sehen".

Seit seiner Pensionierung lehrt Pachler, dessen jüngerer Bruder Ferdinand auch Profi war, das Boxen an der Uni Klagenfurt. Zu seinem Erstaunen vorwiegend Frauen. Und er hält in Schulen Anti-Aggressionskurse ab.

Seine Fitness bestätigte sich Pachler im Vorjahr beim Wasa-Lauf, "ein traumhaftes Erlebnis". Die klassischen 90 Loipenkilometer zwischen Sälen und Mora in Schweden hat er in etwas mehr als elf Stunden absolviert - ganz nach Plan, trotz einer ordentlichen Brezn auf glattem Geläuf. Aber Pachler ist nicht liegengeblieben. (Sigi Lützow, DER STANDARD, 22.12.2014)