Die tunesische Gemeindepolizistin Fayda Hamdy.

Foto: Karem Yehia

Sie wurde sogar mit Gavrilo Princip verglichen, der durch seine Ermordung des österreichischen Thronfolgers den Ersten Weltkrieg ausgelöst hatte: Fayda Hamdy ist vom Schicksal die Rolle zugeteilt worden, am Beginn der Ereignisse zu stehen, die vor vier Jahren die arabischen Revolten in Gang setzten.

Hamdys Tat war weit weniger dramatisch als jene Princips: Die unbewaffnete Gemeindepolizistin in der tunesischen Stadt Sidi Bouzid beschlagnahmte am 17. Dezember 2010 die Waren des Gemüseverkäufers Mohammed Bouazizi, der sich daraufhin mit Benzin übergoss und anzündete.

Wenig später brannte das ganze Land. Präsident Zine al-Abidine Ben Ali versuchte noch gegenzusteuern, besuchte Bouazizi im Krankenhaus und ließ Hamdy am 31. Dezember verhaften. Am 4. Jänner starb Bouazizi, am 14. floh Ben Ali nach Saudi-Arabien. Hamdy blieb bis 19. April 2011 im Gefängnis: Bei ihrem Prozess wurde sie freigesprochen. Lange Zeit hatte sie keinen Verteidiger gefunden.

Auch vier Jahre später bleibt Fayda Hamdy – die anlässlich des Jahrestages, der mit den ersten freien Präsidentschaftswahlen in Tunesien zusammenfällt, Interviews gibt – dabei, dass sie den jungen Tunesier gar nicht geschlagen habe. Es sei umgekehrt gewesen, beteuert sie im Gespräch mit "Ahram" einmal mehr: Bouazizi habe sie attackiert, als ihr Kollege die Waren vom Karren zu laden begann, und sie sogar verletzt. Sie rief Kollegen zur Verstärkung, die Selbstverbrennung erfolgte nach deren Amtshandlung.

Mit ihrer öffentlichen Darstellung hadert Hamdy. US-Präsident Barack Obama erwähnte sie einmal in einer Rede, negativ natürlich: ein "dummer Kerl", der lieber die Fakten prüfen solle, sagt sie. Auch in einem Buch des marokkanischen Schriftstellers Tahar Ben Jelloun kommt sie als Schuldige vor.

Gegen den Rat mancher kehrte die Endvierzigerin, ledige Tochter eines Polizisten, nach ihrer Freilassung nach Sidi Bouzid und in ihren Beruf zurück. Außendienst macht sie allerdings keinen mehr. Sie hätte mehr zu tun als früher, sagt sie: mehr Freiheit, mehr Chaos.

Die Revolution sah Fayda Hamdy gemeinsam mit ihren Mithäftlingen im Fernsehen. Diesen Frauen, die wegen krimineller und nicht politischer Delikte saßen, habe sie allerdings nicht gesagt, wer sie sei, sagt Hamdy. Sie sei eine Lehrerin und habe einen Buben geschlagen, erzählte sie ihnen. Zumindest das sind Schläge, die sicher nicht stattgefunden haben. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 22.12.2014)