Das Abstimmungsresultat von 99,2 Prozent der Stimmen nahm an der außerordentlichen Alstom-Versammlung geradezu "sowjetische" Ausmaße an. Verwunderlich ist das nicht: Hauptaktionär Bouygues (29,2 Prozent der Anteile) wollte sich seit langem von seinem Kapitalanteil trennen, und die Kleinaktionäre erhalten etwas mehr als die Hälfte der sieben Millionen Euro, die General Electric (GE) für die Energiesparte von Alstom auf den Tisch blättert. Die Anteilseigner würden sichtlich "verwöhnt", kommentierte die Zeitung Le Monde leicht ironisch. Auch Gewerkschaften und Ingenieure kritisieren, dass zwischen 3,5 und vier Milliarden Euro des Erlöses per Sonderdividende in die Besitzertaschen statt in neue Investitionen flössen.

GE übernimmt mit der Energiesparte rund 70 Prozent des französischen Konzerns. 65.000 Angestellte auf der ganzen Welt wechseln ihren Arbeitgeber. Nur die Transportsparte mit den Hochgeschwindigkeitszügen TGV bleibt bei Alstom. Sie beschäftigt 28.000 Angestellte und steuert 5,9 Milliarden Euro bei, während auf die Energiesparte 20,3 Milliarden entfallen.

Mitspracherecht

Die französische Regierung, die beim Verkauf des Industrieflaggschiffs eine wichtige Rolle gespielt hatte - sie wollte Alstom zuerst Siemens zuhalten, bevor sie dem GE-Druck nachgab -, betonte das spezifische "Mitspracherecht" Alstoms in dem strategischen Nuklearbereich. Auf dem Papier teilen sich GE und Alstom dabei je zur Hälfte die Befehlsgewalt - mit dem Unterschied, dass die Amerikaner dabei 50 Prozent plus eine Stimme haben, also die Mehrheit. Der französische Staat behält nur bei den Dampfturbinen für Atomkraftwerke eine goldene Aktie, das heißt ein Einspracherecht. Die Wirtschaftszeitung Les Echosmeinte generell, Joint Ventures seien bloß "kosmetischer" Natur; in Wahrheit habe GE überall das Sagen.

Alstom-Chef Patrick Kron - der seinen Posten 2015 an Rransport-Vorsteher Henri Poupart-Lafarge abtritt - beteuerte, er sei "überzeugter denn je" von der gewählten Lösung. Die Gewerkschaft CGT konterte jedoch, nicht nur die Aktionäre würden zu großzügig behandelt; unverständlich sei, warum Kron einen Bonus von 150.000 Aktien im Gegenwert von rund vier Mio. Euro erhalte.

Kurz vor der Aktionärsversammlung wurde klarer, warum es Siemens in dem wochenlangen Bieterstreit an letztem Engagement mangeln ließ. Gemäß Meldungen der Agentur Bloomberg hat sich der französische Konzern bereiterklärt, der US-Justiz 700 Mio. Dollar (560 Mio. Euro) Buße wegen einer Korruptionsaffäre in Indonesien zu zahlen. Diese Rekordstrafe dürfte bei Siemens nach der Schmiergeldaffäre von 2007 abschreckend gewirkt haben. Denn dahinter warten auf Alstom weitere Korruptionsverfahren wegen Lieferverträge in Indien, Polen und Tunesien. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 22.12.2014)