Über den Gipfeln ist es auch nicht einfacher, die Konzentration zu halten: Juliette Binoche (li.) und Kristen Stewart sind in Olivier Assayas' ungewöhnlichem Schauspielerinnenfilm als gut eingeöltes Team zu erleben.


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Olivier Assayas (59) war Filmkritiker bei den "Cahiers de Cinéma", seit 1986 dreht er Filme, die sich diverser Genres und Stile annehmen. Zuletzt "Carlos" und "Aprés Mai".

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STANDARD: "Die Wolken von Sils Maria" ist ein Film mit und über Juliette Binoche. Was gab den Anlass für diese Zusammenarbeit? Ein Ursprung liegt ja in André Téchinés Film "Rendez-vous" von 1985, den Sie geschrieben haben und in dem Binoche die Hauptrolle spielt.

Olivier Assayas: Wir kannten uns seit Rendez-vous, danach haben wir unsere Karrieren wie zwei parallele Linien durchlebt, die sich nur sehr kurz berührten. Juliette hat nach L'heure d'été, in dem sie eine kleine Rolle hatte, dies zum Thema gemacht und gefragt, warum wir nicht einen Film machen, der durch unseren "Dialog" bestimmt wird. Ich hatte sofort den Eindruck, dass sie damit einen Punkt traf - natürlich spricht man oft mit Schauspielern, hofft sie wieder zu sehen. Aber das passiert oft nicht: Denn man braucht einen Part, eine Geschichte, eine Notwendigkeit.

STANDARD: Und daraus ergab sich die Idee, eine Schauspielerin mit einem Stück zu konfrontieren, das sie einst berühmt gemacht hat?

Assayas: Es war nicht unähnlich zu dem, was ich mit Maggie Cheung in Irma Vep gemacht hatte. Mich hat die Besonderheit von Juliette interessiert: Dass sie sehr hart arbeitet, sich ihrer Parts mit viel Intensität annimmt, bis ins Schmerzhafte hinein. Sie will die Gefühle ihrer Figuren in sich selbst finden. Ich begriff sehr früh, dass das das Herz des Films sein muss: Es geht um mehr als um Schauspielerei, nämlich um Menschlichkeit. Sobald ich das hatte, war mir auch klar, dass der Film vielleicht nicht vom Altern erzählt, aber von einem neuen Kapitel in ihrer Karriere ...

STANDARD: Zugleich geht der Film über Binoches Figur hinaus und lässt hinter die Kulissen der Starkultur blicken - es gibt unterschiedliche Perspektiven darauf, das Theater, die Youtube-Skandälchen, den Druck einer medialen Öffentlichkeit.

Assayas: Ich beschreibe diese Kultur als Teil ihres Lebens. Es wäre ja verkehrt, bei einem solchen Film nicht die Frage zu berücksichtigen, wie das Leben einer Schauspielerin abläuft. Ein Filmstar zu sein, bedeutet, eine Rolle, vielleicht auch nur eine kleine, in dieser Mainstreamkultur zu spielen. Es geht um eine Medienkultur, die auf Personen fixiert ist. Wenn du eine Berühmtheit bist, musst du dich damit auseinandersetzen. Was auch immer du bist, ist in dieser Kultur etwas wert. Du kannst es auch nützen: für deinen Ruhm, für einen Skandal, um Profit zu machen. In dieser Welt wird man zur Ware, und - sorry für diese Banalität - es hat auch damit zu tun, wie sehr das Internet unser Leben verändert hat.

STANDARD: Mit Kristen Stewart haben Sie einen Weltstar als Binoches Assistentin besetzt. Allein die Erwähnung ihres Namens löst auf Twitter Aufregung aus. Ein Spiel mit den Höhen und Tiefen der gegenwärtigen Celebrity-Kultur?

Assayas: Ich bin nicht auf Twitter, ich habe eine Grenze gezogen, wie weit ich das Elektronische in mein Leben eindringen lasse! Aber es gehört zu ihrer Figur dazu. Es gibt dieses Spiegelsystem zwischen den beiden Frauenfiguren, das ich zulasse, wobei ich die Zügel locker halte. Doch jede Figur in diesem Film spielt zu einen gewissen Grad sich selbst. Man sieht in ihr den Filmstar aus Twilight, der eine Assistentin einer Schauspielerin spielt. Das ist in der Tat auch eine Art Witz über die Celebrity-Kultur, weil sich Kristen ja im Herzen von dieser befindet.

STANDARD: Die Beziehung der beiden Frauen ist vielschichtig, es gibt Momente von Selbstgerechtigkeit und Ignoranz, aber auch große Intimität. Wie erzeugt man diese Dynamik?

Assayas: Mich fasziniert es, in Filmen unterschiedliche Elemente zusammenzumischen. Ich war nicht so sehr am Konflikt interessiert, sondern an der Spannung, an einer Art Rivalität. Es war dann weniger Rivalität als ein wechselseitiges Herausfordern. Für Kristen bedeutete der Film, einen neuen Raum zu öffnen, in einer Phase ihrer Karriere, wo sie diesen Raum auch benötigt. Für sie hat das europäische Kino mehr Freiheiten. Eine ältere Schauspielerin, die durch viele Phasen einer Karriere durchgeschritten ist, ist für sie ein Schlüssel. Sie hat von Juliette erwartet, dass sie ihr etwas beibringt. Das war für Juliette natürlich aufregend. Aber sie fühlte sich auch herausgefordert, denn Kristen ist nicht einfach eine junge Schauspielerin. Sie ist eine mächtige Frau: sehr kontrolliert und ungemein präzise, was ihre Körperbeherrschung anbelangt.

STANDARD: Das Schweizerische Sils Maria, der Schauplatz des Films, ist eine Landschaft, die schon viele berühmte Künstler angezogen hat. Was bedeutet sie Ihnen?

Assayas: Die Antwort liegt hier schon in der Frage: Die Landschaft wird von der Vergangenheit bewohnt. Nietzsche, Rilke, Proust - alle waren dort, und daran denkt man zuerst. Visconti verbrachte dort seinen Urlaub. Es gibt nicht viele Landschaften in der Schweiz, welchen dieselbe Aura innewohnt. Ich wollte keine Postkartenkulisse, sondern eine, die von Geistern bevölkert wird. Zugleich sollte man das Gewicht nicht spüren. Sie sollte anwesend sein wie die Wolken beim Naturphänomen der Maloja-Schlange.

STANDARD: Wie meinen Sie das genau?

Assayas: Es gibt den Kurzfilm von Arnold Franck, den ich im Film zeige. Er hatte dieses Naturphänomen des Wolkennebels zu Beginn des Jahrhunderts gefilmt. Für mich versinnbildlicht er den Fluss der Zeit. Und zwar vor einer Kulisse, die von der Zeit unberührt erscheint: den Bergen, den Gipfeln, den Gletscher - die Wolken enthalten alle diese Geister, über die wir gesprochen haben, ohne dass ich sie extra nochmals erwähnen muss. Sie haben auch etwas Bedrohliches an sich wie in John Carpenters Horrorfilm The Fog. Es hat etwas von einem fantastischen Film, es erzeugt eine Spannung. Wolken sind nicht nur schön.

STANDARD: Es gibt auch die Geister des Kinos. die vor dem inneren Auge aufflackern: Antonionis "L'avventura" (1960) sowie Bergmans Kino- und Identitätsstudie "Persona" (1966).

Assayas: Das passiert, wenn man ein klassisches Thema aufgreift. Ich wusste, dass ich einen Pfad betreten habe, an dem irgendwann der Posten kommt, der sagt: "Jetzt betreten sie Bergman-Land." Ich kann es nicht verschweigen, Persona ist einer meiner Lieblingsfilme, obwohl ich zurückhaltend mit Zitaten bin. Ich habe Bergman gekannt, er ist für mich keine Abstraktion. Und natürlich war ich immer von diesem Moment des modernen Kinos fasziniert, als Hitchcock und Antonioni im selben Jahr ihren Hauptdarsteller nach einem Drittel des Films verschwinden ließen. Sie hinterfragten damit fundamental, was eine Figur im Kino ist: anwesend und abwesend zugleich. In einem Film, der davon erzählt, wie man eine Figur erschafft, sie transformiert und erprobt, erschien es mir als gute Idee, diesen Schlenker zurück zu machen. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 20./21.12.2014)