Bernd Püribauer
Ilustration: Bernd Püribauer

Als man erfuhr, dass dort in einem ehemaligen Gewerkschaftsheim Flüchtlinge untergebracht werden sollten, gab es in Steinhaus am Semmering eine Bürgerversammlung. In Erinnerung geblieben ist ein Mann, der aufstand und sagte: "Ich bin der Meinung: Nicht nur Steinhaus, ganz Österreich braucht keine Flüchtlinge mehr!" Der Applaus war ihm sicher.

29.500 Flüchtlinge befinden sich zurzeit in Bundesbetreuung, und jede Woche kommen zirka 850 neue hinzu. Das ganze Land scheint darüber in Aufruhr und Panik: "Überschwemmt! Überrollt! Überfordert!" liest man jeden Tag in den Wegwerfzeitungen. Nur selten noch haben sie etwas Erfreuliches zu berichten: Fuchs denkt, er wäre Hund. Wenigstens einer, der noch denkt.

Moschee im ehemaligen "Pussy Deluxe"

Der Witzezeichner Bernd Püribauer und ich machen uns auf die Suche nach Flüchtlingen und Einheimischen, die ihnen helfen. Aus Wien kommend, spuckt uns der erste Kreisverkehr 60 Kilometer weiter südlich in Ternitz aus, einer einst stolzen Industriestadt. Die Disko hieß hier früher Pussy Deluxe, heutzutage ist darin eine Moschee untergebracht. Der katholische Kirchturm dahinter überragt die Moschee bei weitem, aber der Schlot der alten Fabrik daneben überragt natürlich den Kirchturm.

Das war hier nämlich mal was! Semperit und so. Und alle roten Arbeiter fuhren hinüber nach Steinhaus zur Erholung ins Heim, wo heute 200 Flüchtlinge untergebracht sind. Seit Jahren aber geht es mit der Stadt bergab, und mit den Sozis sowieso. Ein paar Handyshops und Kebabbuden würden dem Ortsbild ganz gut tun, es stehen so viele Geschäfte leer, dass sogar die Freiheitlichen, deklarierte Zuwandererfeinde, auf ihren regionalen FB-Seiten schon vor drohender Abwanderung warnen.

Drohende Abwanderung

Witzezeichner ist also kein schlechter Job in diesem Land. Es gibt viel zu lachen, aber natürlich noch mehr zum Weinen. Kaum biegt man einmal scharf rechts ab - auf einem der unzähligen Kreisverkehre, die alle irgendwie aussehen, als würde man darauf den Sperrmüll sammeln - landet man auf einem Parkplatz, der von einer gelben Mauer umrahmt ist. Darauf steht "Für Kaiser Volk und Vaterland!" Und auf die Mauer daneben hat ein Schulkind - oder ein Rechtsextremist? - einen Wehrmachtshelm gemalt, das Deutsche Kreuz, das Emblem des Kameradschaftsbundes, und die Kirche, bei der sich "die Szene" trifft.

Auf der angrenzenden Gstätten steht eine Baracke der Bauart "Fahrendes Volk". Die darin untergebrachte Verköstigung heißt Tropic Imbiss und gehört einem stadtbekannten Eisenwarenhänder. Stadtbekannt nicht wegen seiner Eisenwaren, sondern wegen der "Bunker-Führung" zum Beispiel, die er hier für "2 RM = 80 Cent" anbietet, und wegen des ganzen anderen Nazi-Krams, der hier überall herumhängt. Die Wirtin ist richtig nett, und das Gespräch am Nebentisch dreht sich um die Frage, wie sinnvoll das Tragen von SS-Uniformen heute noch ist (wo es doch schon für jedermann erschwingliche Outdoorkleidung gibt).

Das Klo als Zufluchtsort

Bleibt einem als Zufluchtsort nur das Klo, das zwar benutzbar, aber nicht empfehlenswert ist. An der Türinnenseite hängt wenig überraschend ein nackter Damenarsch, aber überraschenderweise nicht der von Eva Braun, sondern der von einer anderen scharfen Blondine, die sich zum unteren Fach ihres Kühlschranks bückt. "Darum ist bei mir das Bier immer ganz unten", legt man dem männlichen Beobachter in den Mund.

"Ganz unten" ist kein schlechtes Stichwort für diesen Ort, den wir in Richtung frischer Luft verlassen. Auf der Gstätten hinter der Baracke steht ein Kreuz mit Wehrmachtshelm drauf, darunter liegt angeblich der Hund begraben. Oder die Katze. Als geübter FB-Nutzer denkt man bei Wehrmachtshelm natürlich sofort an Strache, der neulich auf einem Foto auch so einen trug. Dazu schwarzes Leder anstatt des blauen Jäckchens, das er sich sonst immer über die Schultern wirft, bevor er außer Haus geht. Wenn Haider im Porsche saß, dann hatte das - jedenfalls in und um Feistritz - einen gewissen Pepp, und er konnte damit mobilisieren, bis sich herausstellte, dass er betrunken nicht Auto fahren konnte.

Strache auf dem Moped

Wenn sich aber Strache aufs Moped setzt, dann sieht er aus wie Oma Duck auf dem Weg ins Lagerhaus, um die Geranien zu holen. Zu seiner Veranstaltung gegen das Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen kamen gerade mal 300 Leute. Im Übrigen wünscht er uns allen "Frohe Weihnachten und Liebe, statt Einbruch und Diebe!"

Danke, Oma, dir auch!

Wir fahren - durch einen Kreisverkehr! - weiter zum Gasthaus zum Krug, wo man angeblich Flüchtlinge einquartiert hat. Morgen gibt's hier Tanz, heute gibt's Menü. Um ein Gespräch in Gang zu bringen, bestellen wir einen kleinen Braunen, aber zum Thema Flüchtlinge, sagt man uns hier, "dürfen wir Ihnen leider gar nichts sagen".

Ein verschwiegenes Volk

Es ist ein ängstliches und verschwiegenes Volk, das österreichische, wenn es nicht gerade Wutoma heißt. Sollten in dem Gasthaus Menschen untergebracht sein, die möglicherweise gerade im Kampf gegen Diktatoren oder für Meinungsfreiheit ihr Leben riskiert haben, dann werden sie schnell merken, dass hier "Goschn halten! Hände falten!" erster Verfassungszusatz ist, an den man sich besser hält, will man nicht irgendwann ohne Baugrund oder Pragmatisierung dastehen. Und das Schreckensvideo auf Youtube, wo der christliche Landeshauptmann einen Pfarrer zur Sau macht, nur weil der sein möglicherweise unverdient hohes Gehalt anspricht, sollte man ihnen besser nicht zeigen.

In Göttschach, das hinter Pottschach liegt, sehen wir dann den ersten Flüchtling. Wir erkennen ihn am typischen Tschetschenenbart als solchen und daran, dass er vor uns davonläuft, hinein in den Mischwald. Ob er darin einen großen Anschlag plante oder das kleine Geschäft verrichtete? Vielleicht war aber auch alles ganz anders und: Tschetschene dachte, er wäre ein Fuchs!

Keine Chance für Agip

Wir haben einen Termin mit Horst Reingruber, einem Österreicher, der von "Goschn halten!" gar nichts hält. Er wohnt in Gloggnitz am diesseitigen Ausgang der Semmeringtunnelröhre, die er beinahe verhindert hätte, aber eben nur beinahe. Keine Chance hingegen, erzählt er bei einem Treffen in seinem wirklich gut geheizten Wohnhaus, hatte der Mineralölkonzern Agip, der in seinem Wohngebiet eine Tankstelle errichten wollte. Weltkonzerne und Politiker sollen ihm also besser nicht in die Gasse kommen, mit denen legt er sich am liebsten an.

Als Kind, nach dem Krieg, durfte Herr Reingruber nicht zur Erholung nach Portugal reisen, weil er um genau ein Kilo zu schwer und also nicht bedürftig genug war. Gott sei Dank, muss man heute sagen, sonst wäre er womöglich dort geblieben. Die ÖVP sollte ihn für die Bundespräsidentenwahl nominieren, er ist ein Niederösterreicher mit Stil, Format und Charakter, und mit 73 Jahren ist er im besten Alter dafür. Die längste Zeit seines Lebens war er in der Industrie tätig, wo er lernte zu reden und zu entscheiden. Kaum hat er also von dem geplanten Heim oben auf dem Semmering gehört, hat er aus dem Stand heraus 15 Busladungen Kleidung für die Flüchtlinge organisiert, dazu 4063 Schulbücher von der Firma Veritas, Damenunterwäsche von der Firma Huber in Vorarlberg, und Kartonagen der Firma Mayr-Mellnhof zum Zeichnen für die Kinder.

"Geht raus und brennt!"

Als Absolvent der Senioren-Uni in Krems gab man ihm zur Abschlussfeier mit auf den Weg: "Geht raus und brennt!" Er brennt an beiden Enden, und wenn ihn einer darum bittet, dann stellt er ihm einen Flugzeugträger auf die Rax, und zwar innerhalb von drei Tagen. Die Mitmenschen, das angeblich so überforderte, überrollte und überschwemmte Volk also, helfen ihm dabei mit Freude. Die meisten, sagt er, würden ohnehin nur darauf warten, dass sie jemand dort abholt, wo sie mit ihrem großen Herzen stehen. Die Politik tut das ja leider nicht.

Der hasenfüßige Kanzler - hat man den Eindruck - möchte uns die Wegwerfzeitung am liebsten selbst in die Hand drücken und uns mit ihr als Kompass hineinschicken in den ewigen Kreisverkehr dieses Landes, der bei jeder Ausfahrt in eine Sackgasse mündet. Die Grünen? Müssen meistens, anstatt zur Revolution, vorher noch schnell "zu diesem Brunch" und dann den Saibling holen, abends liegen sie dann neben dem Pelletsofen und schauen sich Unsere Kleine Farm auf Blue Ray an.

Politik bei den Bierkisten am Klo

Mutige Politiker, die für ihre Ideen auch brennen, oder solche, die einfach mal die Wahrheit sagen, sucht man in diesem Land meist vergeblich. Die heimische Politik liegt irgendwo ganz unten bei den Bierkisten am Klo des Tropic Imbiss. "Alles läuft gut", klagt Mutopa Reingruber, "solange die sich nicht einmischen." Er selbst jedoch will die Welt ein bisschen besser verlassen, als er sie vorgefunden hat. Das wird nicht einfach werden, aber wenn er so weitermacht, dann kann er es schaffen.

Steinhaus schließlich liegt auf der anderen Seite des Semmerings in der Steiermark. Der Ort scheint unter der Last seiner Flüchtlinge immer weiter vom Berg hinunterzurutschen, ängstlich klammert er sich an der Straße fest. 60 hatten sie hier schon, nun kamen weiter oben 200 neue dazu. An einer Haltestelle treffen wir zwei Omas, die eine sagt über sie: "Jo, jo, san eh oarm." Die andere: "Wir hon a an Kriag erlebt, nur san wir dahoam blieb'm."

Organisiertes Ungutmenschentum?

Jener, der dort bei der Bürgerversammlung aufstand und gegen die Flüchtlinge wetterte, war im Ort übrigens unbekannt. Und bei einer anderen Bürgerversammlung in Eberau, wo ein Erstaufnahmezentrum errichtet werden sollte, "standen ganz hinten plötzlich 100 Leute, die niemand kannte und die echt ungut waren". Organisiertes Ungutmenschentum also?

Davon erzählt jedenfalls Mag. Gernot Maier, mit dem wir hier verabredet sind und der im Innenministerium zuständig ist für Bundesbetreuung von Flüchtlingen. Das Gebäude hier ist ein Juwel heimischer Baukunst, ein 60er-Jahre-Vintage-Traum im dominierenden Farbton Rosa, es gehört einer Slowakin. Früher stand hier gewerkschaftliche Rundumversorgung auf dem Programm, später Billigtourismus, heute eben "Organisierte Betreuung von Flüchtlingen", und die geht so: Bettwäsche, Essen und 40 Euro Taschengeld im Monat. "Berichte von Gratishandy für jeden Flüchtling stimmen nicht", sagt Maier, Typ zupackender Bär mit Bandscheibenvorfall. Zwei davon hat er sich schon eingefangen, seit er die Abteilung 2009 übernahm, sein Job bedeutet Schwerstarbeit plus Rennerei ohne Ende.

Passt alles, sperrt er auf

Als Erstes lässt er sich immer Fotos einer möglichen Unterkunft schicken. Steht das Haus halbwegs gerade in der Landschaft, müssen Fragen beantwortet werden wie: Gibt es Schulen in der Nähe, ärztliche Versorgung? Wenn ja, fährt er vor Ort, prüft die Unterlagen, die Baupläne, die Betriebsanlagengenehmigung. Passt endlich alles, sperrt er auf.

Tot umgefallen ist deswegen noch kein Bürgermeister, aber angesprungen vor Freude hat ihn auch noch keiner. In der Regel gilt: Wir helfen euch gern, aber bitte nicht bei uns! "Eine verständliche Grundangst vor dem Unbekannten", sagt Maier, "wird vom Boulevard geschürt und von ganz rechts ins Absurde gesteigert. Liegt hier irgendwo eine Cola-Dose herum, dann schreien gleich alle: Müllberg!"

Kann also sein, dass wir bald lesen: Cola-Dose denkt, sie wäre Müllberg!

Zwei Polizisten in Zivil

Betrieben wird das Heim von einer "ORS Servie GmbH", über die auch Herr Reingruber nur Gutes zu berichten weiß. Aus dem Ministerium hat Maier zwei Polizisten abgezogen, die hier im Hintergrund und in Zivil agieren, der eine lebt sogar im Ort. Als er vor ein paar Wochen mit seiner dreijährigen Enkelin auf den Spielplatz ging und dort die ersten Flüchtlingsfamilien sah, da war für seine Anna klar, dass sie ihr Spielzeug den armen Kindern geben müsse. Lernen von Dreijährigen.

Der Opa, eigentlich ein "tough guy", erzählt nun mit belegter Stimme von einer syrischen Familie, die mitten in Ägypten die Mutter verloren hat. Sie schafften es auf einem Boot mit 350 Leuten drauf nach Lampedusa, von dort ging es nach Rom, dort stiegen sie in einen Zug und landeten irgendwann in Wien. Einer Stadt, von der sie noch nie gehört haben. Er erzählt von einer 23-Jährigen, die mit ihrem Baby im linken Arm und einem Sackerl in der rechten Hand hier ankam und mit sonst nichts. Es ist ein Wettbewerb der furchtbaren Schicksale, erzählt Maier. "Die Flüchtlinge zeigen uns auf ihrem Handy Videos, auf denen man ihre abgeschlachteten Verwandten sieht."

Kleine Lichtblicke

Dazwischen gibt es aber schon kleine Lichtblicke. Der neue beste Freund der beiden Polizisten heißt "Finished Five". Er kam ohne Eltern hierher und hat gerade im Heim seinen fünften Geburtstag gefeiert. Aus eigener Tasche bezahlten sie ihm einen Hüpfball, jeden Morgen bringen sie den Kindern Süßes mit. Wenn sie davon erzählen, werden ihre Augen feucht. Es ist nämlich so: Helfen kann zu Glücksgefühlen führen, der Kontakt mit Flüchtlingen zu Freundschaften. Warnhinweise muss man deswegen aber keine anbringen.

"Wobei", mahnt Maier, "gerade beim Thema Helfen nüchterne Sachlichkeit angebracht ist." Sie ist die vernünftige Schwester der Barmherzigkeit. Immer wieder kommt es nämlich vor, dass ein paar diesbezügliche Einzelkinder mit Welcome-Schildern, Tschinelle und Tröte vor einem neu zu beziehenden Heim stehen, dort Weihnachtsfeiern ausrichten und zu Silvester Böller zünden wollen. Das ist keine gute Idee, wenn jemand gerade aus Aleppo kommt. Die guten Menschen sind dann manchmal sogar ein bisschen eingeschnappt, wenn sie die Tröte wieder einpacken müssen, aber "Ich bin okay - du bist okay!" darf man den Flüchtlingen zur Begrüßung natürlich schon zurufen.

Der aus dem Wald bei Göttschach!

Am Ende unseres Besuchs, es ist seit einer Stunde finster und saukalt, stehen wir auf dem Parkplatz des Geländes. Da läuft ein Bärtiger mit Kapuze auf uns zu, und wir denken: Das ist der aus dem Wald bei Göttschach hinter Pottschach! Und plötzlich fällt uns wieder ein, was wir über die Tschetschenen schon alles gelesen haben: dass die dort im Kaukasus Wehrmachtshelme zum Frühstück essen! Aber der hier joggt nur cool an uns vorbei, hinein ins warme Haus. Ein wenig müssen wir uns noch aneinander gewöhnen, wir Einheimischen und die Flüchtlinge, aber das wird schon werden. "Meistens ist es ja so", sagt Maier zum Abschied: "Die Leute, die sich anfangs am stärksten gegen die Neuen wehren, sind dann auch die, die sich am lautesten gegen eine Abschiebung der neu gewonnenen Freunde wehren, wenn es denn mal vorkommt."

Wieder zurück in Ternitz biegen wir noch kurz zur Wurstbude ab. Es gibt hier alles, was einen Muslim wahnsinnig macht und alle Einheimischen glücklich. Wir bestellen jeder einen neutralen Hendlhaxn, aber die sind nicht durch. Die junge Verkäuferin ist so angepisst, als wir sie zurückgehen lassen, dass man ihr schon die Wutoma ansieht, die sie in 40 Jahren sein wird. Der Koch haut die Haxn nochmal zurück ins Fett. Wir sind der Meinung: Nicht nur Ternitz, ganz Österreich braucht gscheite Hendlhaxn! (Manfred Rebhandl, DER STANDARD, 20.12.2014)