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Die EU hätte der Türkei ihre grundsätzliche Bereitschaft, Ankara "die Tür nach Europa" zu öffnen, deutlicher machen müssen, sagt der Reinhard Bütikofer.

Foto: EPA/EMILYÜWABITSCH

Reinhard Bütikofer, Co-Vorsitzender der europäischen Grünen Partei und stellvertretendes Mitglied des Menschenrechtsausschusses im Europaparlament, kritisiert im Gespräch mit derStandard.at zwar die Menschenrechtssituation in der Türkei, ortet aber auch ein Versagen vonseiten der EU, die Türkei nicht stärker an einen Weg nach Europa glauben zu lassen. Kritiker, besonders in Österreich, würden es sich zu leicht machen, wenn sie das Kapitel zum EU-Beitritt der Türkei einfach schließen wollen.

derStandard.at: In der Türkei ist es kürzlich zu einer Verhaftungswelle gegen Kritiker von Staatschef Recep Tayyip Erdogan gekommen. Wie schätzen Sie diese Entwicklung im Zusammenhang mit den EU-Beitrittsverhandlungen ein?

Bütikofer: Da gibt es in Österreich, glaube ich, sehr viele, die gerne jeden Grund, Vorwand oder jede Ausrede benutzen würden, um dann doch recht gehabt zu haben bei dieser dämlichen Position, dass man die Türken in Europa am liebsten nicht sehen möchte. Ich bin nicht dieser Auffassung, wie Sie aus meiner polemischen Formulierung schon hören. Ich glaube, dass Europa jetzt viele Jahre lang unter dem Einfluss vor allem deutscher, französischer und österreichischer Politiker einen verhängnisvollen strategischen Fehler gemacht hat, indem der Türkei gegenüber nicht viel stärker die gemeinsame Perspektive formuliert worden ist und nicht sehr viel stärker klargemacht worden ist: "Ja, wir sind grundsätzlich bereit, der Türkei die Tür nach Europa zu öffnen."

derStandard.at: Sie sehen in der jüngsten Entwicklung also kein Hindernis für weitere Beitrittsverhandlungen?

Bütikofer: Die Kritik an mangelnder Presse- und Religionsfreiheit ist notwendiger Bestandteil unserer Auseinandersetzung mit der türkischen Realität. Aber bei aller Berechtigung der Kritik an diesen zunehmend autoritären Tendenzen von Präsident Erdogan und seiner Politik muss man diese Dinge auseinanderhalten. Als wir in den 1960er-Jahren angefangen haben, der Türkei zu sagen, wir wollen euch eine Beitrittsperspektive eröffnen, waren die Zustände noch viel schlimmer, als sie heute sind. Und im Rahmen dieser Diskussion um eine europäische Orientierung der Türkei hat sich das Land ja tatsächlich auf uns zubewegt. Das kann man nicht bestreiten, auch wenn es jetzt schlechter wird.

derStandard.at: Die momentane Kritik ist also nicht berechtigt?

Bütikofer: Ich finde, es wäre historisch ziemlich oberflächlich, wenn man das, was in der Türkei jetzt alles schiefläuft, was in eine autoritäre, in eine undemokratische Entwicklung läuft, einfach nur als Ausrede benutzt, um sich um die entscheidende Frage zu drücken: "Hat Europa ein starkes Interesse, die Türkei an Europa zu binden und ihr auf diesem Wege die Möglichkeit einer Mitgliedschaft zu eröffnen?" Ich bin überzeugt, das ist so. Und deswegen wäre es ganz schlecht, jetzt zu sagen: "Ja, gut, Gott sei Dank können wir endlich das Buch zumachen."

derStandard.at: Die kritischen Punkte sollen also im Rahmen des Beitrittsprozesses diskutiert werden?

Bütikofer: Wir sollten vielleicht einmal das Kapitel über die Justiz öffnen und mit den Türken konkret darüber reden, wie wir uns das vorstellen.

derStandard.at: Ein Land, das derzeit auch stark in der Kritik steht, sind die USA beziehungsweise ihr Geheimdienst CIA und dessen brutale Foltermethoden. Auch EU-Staaten sollen hier kooperiert haben, muss deren Rolle genauer untersucht werden?

Bütikofer: Das Europaparlament hat sich sehr intensiv mit diesen Fragen befasst, schon in der vorletzten Periode. Leider ist das an Informationsblockaden weitgehend zerschellt, wir sind nicht sehr weit gekommen. Heute wissen wir mehr, als wir damals wussten. (Polens Ex-Präsident Aleksander) Kwasniewski hat ja nun öffentlich erklärt, dass es solche Foltergefängnisse oder zumindest eines gegeben hat. Allerdings hat er auch gesagt, dass Polen von den USA getäuscht worden sei über den Charakter dessen, was da veranstaltet wird.

derStandard.at: Müsste auf EU-Ebene etwas geschehen?

Bütikofer: Ich weiß nicht, ob es jetzt noch einmal richtig wäre, eine europäische Initiative zu starten. Ich denke, dass da eigentlich die Parlamente der Länder gefragt sind, um die es geht. Ich würde mir wünschen, dass wir insgesamt in Europa zu einer gemeinsam getragenen politischen Bewertung dieser schrecklichen Ereignisse kommen. Aber ich glaube nicht, dass wir das am besten erzielen, wenn das Europaparlament meint, es könne anstelle derer, die national für die Aufklärung eintreten müssen, die Arbeit leisten.

derStandard.at: Wie könnte das Europaparlament Druck ausüben?

Bütikofer: Wir sollten sehr stark darauf drängen, dass die Verantwortlichen sich diesen schwierigen Fragen nicht verweigern, und dafür auch bei den Kollegen in den nationalen Parlamenten werben. Auch wird der US-Senat selbst durch den Bericht in seiner Rolle zu der Zeit, als diese Folterpraktiken geherrscht haben, keineswegs entlastet. Was immer die parlamentarisch Zuständigen im Einzelnen gewusst haben – sie wussten genug, damit man ihnen heute eigentlich immer noch die Frage stellen kann: Warum habt ihr damals nicht viel frühzeitiger darauf gedrängt, dass diese Folterpraktiken abgestellt werden? (Noura Maan, derStandard.at, 21.12.2014)