Das Labor als Bühne: Thomas Zipps Schau liegen Ideen zu Psychophysik und Utilitarismus zugrunde.


Foto: Tamara Rametsteiner, Galerie Krinzinger

Mit schwarzen Teppichwüsten und aseptischer Neongrelle trieb er der Sammlung Goetz 2009 den White Cube aus; mit eiskaltem Licht und unheilvollen Raumfluchten samt Gummizelle verwandelte Thomas Zipp das Fridericianum in Kassel 2010 in eine psychiatrische Anstalt. In die Verlegenheit, sich in einen von Zipps unbehaglichen Erfahrungsräumen zu versteigen, kommt man in Wien derzeit gar nicht. Da schwebt über aller transformatorischen Gestik die Stuckdecke der Galerie Krinzinger, quasi als Ankerpunkt und Verortungshilfe im Geisteszustand eines Gründerzeitpalais.

Es scheint also vielmehr, als hätte sich der 1966 geborene Künstler die Architektur zunutze gemacht - sie zum Gegenpol seiner eingestellten Räume gemacht: dort der gut einsichtige Ort des Labor-Experiments, hier der Bereich der Beobachtung und Forschung; dort die Probanden, hier die Wissenschafter. Wie etwa Sigmund Freud, Pate der Psychoanalyse, den man sich in Wien zum Stuck einfach dazudenken kann. Da spart man sich die Marmorbüste, mit der Zipp etwa in Kassel den Meister vergegenwärtigt hat.

Die vier P, Psychologie, Psychiatrie, Psychoanalyse und Psychedelik, sind es auch, die das Koordinatensystem Zipps bestimmen: Aktuell ist es die Psychophysik, also jenes Forschungsgebiet, das die Beziehungen zwischen äußeren Reizen und mentalem Erleben untersucht, das Zipp unter ein utilitaristisches Prinzip stellt: "Handle so, dass das größtmögliche Maß an Glück entsteht!"

Ob das Schnüffeln an Klebstofftuben zum Zweck der Berauschung so ein ethisches, am allgemeinen Wohlergehen interessiertes Prinzip ist? Jedenfalls sind die ausgequetschten Tuben Utensilien in Zipps Kulisse: ein Schlafsaal, in dessen spartanischen Betten luftleere Erste-Hilfe-Puppen, Modell "Rescue-Anne", liegen. Erfunden hat diese Asmund Laerdal, der sich für die Gesichter der seelenlosen Hüllen an den Totenmasken der sogenannten "glücklichen Toten" orientierte. Die sie "behandelnde" Ärzte-Kompanie (ihre Puppenspieler in der Performance) symbolisiert eine Reihe an Haken aufgehängter weißer Kittel.

Ein bisschen Grusel

Für das bisschen Grusel im Setting sorgt ein kleiner Monitor: Im Video umsäuselt Wind unheilvoll einen dämmrigen Raum. Töne aus der Konserve und Musik dienen auch sonst der Atmosphäre in den Arrangements des ehemaligen Punkschlagzeugers.

Es sei nicht Zipps Ziel, den Betrachter "zum Studium der Psychophysik zu bringen", heißt es. Und: "Das Spannungsverhältnis dieser Theorien" werde bei der Performance erfahrbar." Genau darin liegt allerdings das Dilemma der Schau. Denn die Show (im Rahmen derer sich die Performer auch mit Essen bewarfen) ist bereits gelaufen. Das "Sinnesreize alarmieren" und "Momente der Verwirrung stiften" hat man also definitiv verpasst. Zwar ist das Bühnenbildartige Zipps Installationen inhärent, so aufgeräumt unrätselhaft war jedoch noch keine davon.

2011 regte Zipp zum Thema Psychonautik hier in der Galerie zumindest mit Büchern zur Lektüre an. Jetzt bleibt lediglich der oft beschworene, zeithistorisch gewürzte Charme zwischen Labor und Internat. Fad aus Mangel an ideengebenden Impulsen. (Anne Katrin Feßler, Album, DER STANDARD, 20./21.12.2014)