Die größte Gefahr des Online-Geschäfts ist es, in der Masse der Anbieter unterzugehen: Unternehmer Georg Hoanzl und Sixpack-Geschäftsführerin Brigitta Burger-Utzer wünschen sich eine größere Öffentlichkeit für den österreichischen Film.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Wie und wo wir in Zukunft hauptsächlich Filme schauen, ist längst nicht ausgemacht. Spätestens mit dem im Herbst erfolgten Sprung von Netflix auf den deutschsprachigen Markt hat die Diskussion um Video-on-Demand (VoD) und den damit verbundenen Rezeptionswandel wieder an Brisanz gewonnen. Nach aktuellen Studien wird sich der Umsatz mit Streaming-Angeboten in den nächsten fünf Jahren in Deutschland vervier- bis verfünffachen; man rechnet mit Einnahmen von bis zu 750 Millionen Euro. Ein Zug, der schnell unterwegs ist: Wer sich in diesem Branchenfeld etablieren kann, wird sich wohl in diesem Zeitraum entscheiden.

Es geht dabei nicht nur um die Plattformen selbst, denn die internationale Dominanz von Netflix, iTunes, Amazons Prime Instant oder – auf Fernsehebene – von Sky wird nicht so schnell zu durchbrechen sein. Entscheidend sei vielmehr, so der Unternehmer Georg Hoanzl, der österreichische Produktionen im Online-Handel vertreibt, wie es gelingen wird, regionale Inhalte in der digitalen Welt so zu platzieren, dass sie auch Erfolg haben: "Das größte Problem ist die digitale Anonymität. Mehr als 75 Prozent der Titel, die kommerziell angeboten werden, werden nicht konsumiert, weil sie aus der Masse nicht hervortreten."

Um in der Flut der Angebote wahrgenommen zu werden, braucht es Branding und Werbemaßnahmen. Hoanzl kann auf die Erfahrungen mit der vom Standard und dem Filmarchiv Austria her ausgegebenen DVD-Edition Der Österreichische Film zurückgreifen – ein in Europa einmaliges Konvolut aus nationalem Filmschaffen, das er auch im digitalen Bereich als Paket anbietet. Dort setzt er zudem auf Streuung, nutzt diverse Plattformen (auch den heimischen Anbieter flimmit.com):

"Durch die strategische Verknüpfung von physischem und digitalem Produkt konnten wir im ersten Jahr 150.000 Euro Umsatz machen", so Hoanzl. "Das sind zehn Prozent Umsatz in diesem Segment – eine enorme Zahl, mit der ich allerdings keine Digitalfirma finanzieren könnte." Obwohl er mit der Verknüpfung von materiellem und Online-Bereich Erfolg hat, bleibt Hoanzl realistisch: Ohne die Fördermittel für die DVD-Staffel (und Medienpräsenz) wäre die Online-Präsenz nicht in dem gleichen Ausmaß zu erfüllen.

Internationale Filmfans

Brigitta Burger-Utzer, Geschäftsführerin von Sixpack Film, dem heimischen Vertrieb für experimentellen Film, betrachtet VoD aus einem anderen Winkel. Während Hoanzl (vorerst) den österreichischen Online-Markt im Blick hat, richtet man sich bei Sixpack international aus. Auf mubi.com, einem VoD-Anbieter für Autorenkino und Klassiker, habe sie mit nur drei digital verfügbaren DVDs, von Peter Tscherkassky, Lisl Ponger und Kurt Kren, großen Erfolg gehabt. Mubi macht die Filme allerdings leider nicht dauerhaft verfügbar, sondern nur innerhalb befristeter kuratierter Programme.

Großen Anbietern wie iTunes steht Burger-Utzer besonders skeptisch gegenüber: "Man muss dort etwas zahlen, um überhaupt dabei sein zu können. Das ist für uns finanzpolitisch eigentlich uninter essant. Ich denke mir bei solchen Szenarien immer: Ich habe die Inhalte, du bist die Plattform!" Außerdem würden die meisten VoD-Anbieter bloß die realen Geschäftsmodelle nochmals abbilden: "Nicht umsonst geht Sky am besten, wo die Blockbuster sind. Alles andere sind schon Abstufungen, je künstlerisch anspruchsvoller etwas ist, desto weniger Klicks hat es auch."

Fehlende Filmkultur

Dass man in Österreich die Präsentation und Aufbereitung des regionalen Films für die Öffentlichkeit zu lange vernachlässigt hat, davon ist Burger-Utzer überzeugt. Hoanzl verweist auf Frankreich, wo man Filmkultur auch durch Quotenregelung gestützt hat. In Österreich fehlen entsprechende Initiativen trotz großer Publikums- und Festivalerfolge; ein Manko, das sich im digitalen Bereich umso deutlicher manifestiert. "Der ORF hat es seit gut 15 Jahren verabsäumt, irgendetwas für den österreichischen Film zu tun", sagt Burger-Utzer. "Der österreichische Film ist dort nahezu unsichtbar." Wo das heimische Schaffen unter Wert verkauft wird, gehen auch die Kinobesuchszahlen zurück.

Hoanzl hält es für wichtig, Wertschöpfungsbilder der digitalen Content-Industrie grundlegender zu hinterfragen – ein wichtiger Bereich sei die Bekämpfung von Piraterie, vor allem bräuchte es jedoch eine europäische Strategie, um den Wert von regionaler Kultur zu unterstreichen und auch effizienter zu vermarkten. Wie ließe sich beispielsweise der Trend zu regionalen Produkten beim Essen auf den Kultur- und Kunst bereich übertragen?

"Es geht letztlich darum, wie man in dieser verdichteten Medienwelt eine Nischenidee bewahren kann", so Hoanzl. "Das ist eine Frage, die unser kleines Un ternehmen ebenso wie der ORF, das ZDF als auch alle anderen regionalen Content-Entwickler in Zukunft beantworten müssen. Das Schöne am europäischen Content-Markt ist die Vielfalt. Diese Vielfalt steht im Widerspruch zur in ternationalen Stärke – ein Pro blem, das nur durch kluge Kooperationen gelöst werden kann."

Denkbar ist auch, die Dichte an Kinostarts mit entsprechend geförderten VoD-Veröffentlichungen zu entlasten – oder Kino- und VoD-Starts kurz hintereinander durchzuführen, was in den USA schon erfolgreich probiert wurde. "Dafür brauchte es einen Anbieter, der gut funktioniert", sagt Burger-Utzer, räumt aber ein, dass hier Maßnahmen nötig sind.

Selbst wenn der materielle Markt noch Absätze garantiert, gehört die "geschützte Zone" Österreich der Vergangenheit an: Um die Breite des Angebots weiter zu gewährleisten, braucht es Strukturen, mit denen man sich besser positionieren kann. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 19.12.2014)