Zwei Jahre lang arbeitete Tobias Zielony an der Fotoserie "Jenny Jenny" zu Berliner Sexarbeiterinnen. In dieser Zeit entstanden auch die Kurzfilme "Der Brief (The Letter)", siehe Foto, sowie "Danny" (beide 2013): subtile Porträtskizzen.

Foto: Tobias Zielony / KOW, Berlin

Wien - Ein Feuerwerk taucht das festungsartige Gebäude der Vele di Scampia bei Neapel in ein Flackerlicht. Jedes Mal, wenn einer der Bewohner aus dem Gefängnis heimkehrt, begehe man das mit einem solchen pyrotechnischen Freudenfeuer.

Vele di Scampia ist ein gescheitertes soziales Wohnbauprojekt der 1960er-/70er-Jahre, das sich genau in sein Gegenteil verkehrt habe, so der Künstler und Fotograf Tobias Zielony: "eine uneinnehmbare Burg der Camorra". Der Ausblick ist weit, man "sieht, ob die Polizei anrauscht, kann überall Drogen verstecken", erzählt Zielony, der mit Fotoserien über Jugendliche in Europa und den USA bekannt geworden ist. Auch in Vele di Scampia posieren die in den Gängen und Stiegenhäusern des runtergekommenen Komplexes herumlungernden Kids, mimen coole Macker oder Gangsta.

Le Vele di Scampia heißt auch ein Kurzfilm Zielonys von 2009, in dem er die soziale Wirklichkeit, das Gebäude einkreisend, abzutasten scheint. Es sind ruckelnde Bilder, da der Film mit weniger als 24 Kadern pro Sekunde aufgenommen wurde: ein Effekt, der das Filmische wieder zu einer Summe von Einzelshots macht. Umgekehrt vergleicht Zielony seine Fotoserien mit Filmstills. Beides zeichnet seine Skepsis gegenüber dem einen stimmigen Bild aus. Indem er einzelne Momente reiht, macht er die Konstruiertheit der Bilder bewusst.

Auch wenn Zielonys Fotos sich aus der Street Photography heraus entwickelt haben und dem Reportagegenre nahestehen, sieht der 41-Jährige in Magazinen nicht das richtige Umfeld für seine Arbeit. In den Medien würden die Bilder allzu schnell auf stereotype Geschichten, etwa zu Jugend und Arbeitslosigkeit oder Jugend und Gewalt, reduziert. Fotos würden oft zur Fiktionalisierung von Geschehnissen herangezogen, sagt er. Das dokumentarische Bild gebe vor, objektiv zu sein, sei aber immer auch Teil einer Inszenierung.

Die Ausstellung zu seinem Projekt Jenny Jenny über Sexarbeiterinnen in Berlin belegte er etwa mit einem Fotoverbot, so als sei das Museum im Gegensatz zu Medien und Internet ein privater Raum, der die Identität der von ihm Porträtierten schütze könne. Diese Medienkritik, aber auch die Frage, was wirklichkeitsbezogene Gattungen wie Fotografie und Film heute noch über die Welt sagen können, treibt Zielony um. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 19.12.2014)