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Alle wollen teilhaben am rasanten Wachstum in China.

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Wien - Cecilia Malmström ist das freundliche Gesicht des Freihandels. An einem verregneten Dezembermorgen empfängt die neue EU-Kommissarin eine Gruppe von Journalisten in ihrem Brüsseler Büro. Die Aufgabe der Schwedin an diesem Tag ist schwer: Sie soll ihren Gästen das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) schmackhaft machen.

Binnen fünf Minuten wird klar, wie Malmströms Strategie aussieht: Die Handelskommissarin möchte ihre Gegner umarmen. Während ihr Vorgänger, der Belgier Karel de Gucht, die Konfrontation suchte, kritische NGOs auch mal gern als ahnungslose Besserwisser abtat, ist bei Malmström gefühlt jedes zweite Wort Verständnis. Man müsse Kritiker ernst nehmen, sagt sie lächelnd in Brüssel, ihnen zuhören. "TTIP braucht einen frischen Start".

Doch wer genau hinhört, stellt fest, dass die inhaltlichen Differenzen zwischen Malmström und ihrem Vorgänger nicht groß sind. Ja, die EU-Kommission wird wie gefordert mehr Transparenz schaffen. Ab Jänner will sie alle ihre Vorschläge für TTIP-Passagen online stellen. Ebenfalls neu: Nur wenige EU-Abgeordnete hatten bisher Zugang zu Texten, über die man sich mit den USA bereits geeinigt hatte. Ab 2015 dürfen alle mitlesen.

Zugleich will Malmström an den Sonderklagerechten für Konzerne festhalten, auch wenn Kritiker dagegen Sturm laufen und von einem Ausverkauf der Justiz sprechen. US-Investoren sollen das Recht bekommen, Klagen bei Schiedsgerichten gegen Gesetze in Europa einzubringen. Im fertigen Abkommen mit Kanada sollen diese Klagerechte ebenfalls drinbleiben. Neuverhandelt wird nicht, sagt Malmström.

Keine Neuverhandlungen

Selbst die Transparenzinitiative hat einen Haken: Sie gilt nur bedingt. Während sich die Öffentlichkeit auf TTIP konzentriert, hat die Kommission im Jänner Gespräche über ein ähnliches Abkommen mit China begonnen. Vom Inhalt der Verhandlungen ist im Gegensatz zu TTIP nichts bekannt. Mehr noch: Während das Mandat, das die EU-Länder der Kommission bei TTIP erteilt haben, nach Protesten publik gemacht wurde, bleibt das China-Mandat geheim.

Dabei spielt der geplante Deal zwischen China und Europa auch bei den TTIP-Verhandlungen eine wesentliche Rolle, wie EU-Beamte erzählen. China dürfte sogar ein zentraler Grund sein, warum die Kommission an den Schiedsgerichten festhalten will.

Bekannt ist, dass die Union mit China ein Investitionsschutzabkommen schließen will, um europäische Firmen besser zu schützen. In China produzieren zwar vergleichsweiße wenige Firmen aus der EU, doch das Land mit seinen 1,4 Milliarden Menschen und einem Wirtschaftswachstum von 7,5 Prozent gilt als Markt der Stunde. Vor allem Deutschlands Autoindustrie hängt an China: So werden etwa 40 Prozent der VW-Wägen heute in China verkauft. Audi, VW, BMW - alle Großen sind mit Produktionsstandorten im Land vertreten. Inzwischen produzieren auch gut 150 österreichische Firmen in der Volksrepublik.

Keine Rechtssicherheit

Doch während die EU wenig wirtschaftliche Probleme mit den USA hat, ist die Liste der Schwierigkeiten mit China lang. Europäische Firmen werden in der Volksrepublik häufig Opfer von Produktpiraterie. In vielen Industriezweigen dürfen ausländische Firmen nur mit einem lokalen Partner produzieren, weshalb Streitereien programmiert sind. Um Gewinne außer Landes zu bringen, brauchen Firmen eine Genehmigung.

Rechtssicherheit gibt es nicht: Gerichte sind von der Partei gesteuert. Oft ergeht nicht einmal ein schriftliches Urteil, das man bekämpfen könnte, erzählt ein Wirtschaftsdelegierter in Schanghai. "80 Prozent der Beschwerden von europäischen Firmen aus dem Ausland betreffen China", sagt der EU-Parlamentarier Bernd Lange.

China: Land der Beschwerden

Die Beamten der Brüsseler Kommission sehen die Chance, etwas daran zu ändern. So soll das China-Abkommen Schutz für Patente bringen und Diskriminierungen verbieten und EU-Firmen erlauben, Schiedsgerichte anzurufen. Zwar gibt es zwischen fast allen Staaten Europas und China bereits einzelne Investitionsschutzabkommen. Vielfach sind Schiedsgerichte darin sogar vorgesehen. Doch die meisten der Verträge sind veraltet - jener von Österreich stammt aus den 1980ern -, weshalb sie weniger Schutz bieten. Mit vereinten Kräften könne Europa mehr herausholen, wird in Brüssel argumentiert. Allerdings würden die Chinesen keine Schiedsgerichte akzeptieren, wenn die Europäer sie nicht auch mit den USA vereinbaren.

"Bei Freihandelsgesprächen geht es zuerst um Macht, also um die Frage, was ich durchsetzen kann", sagt ein EU-Diplomat, der führend das Freihandelsabkommen mit Kanada verhandelt hat. "Der zweite wichtige Faktor ist Stolz: Wenn wir den Chinesen signalisieren, dass wir den USA vertrauen, während wir ihr Rechtssystem für verrottet und korrupt halten, stehen die auf und gehen." Der Konnex mit China dürfte es für die Kritiker in Europa, besonders in der SPD, die als Zünglein an der Waage gilt, schwerer machen, Schiedsgerichte bei TTIP abzulehnen.

Das stärkt auch Malmströms Verhandlungsposition mit TTIP kritischen Ländern wie Deutschland und Österreich. Um ihren Kritikern entgegenzukommen, will die Union Schiedsverfahren transparent machen. Bei TTIP dürfte auch ein Berufungsrecht für Staaten vorgesehen sein, die einen Prozess verlieren - ein Novum. An dieser Stelle würde man auch gerne wissen, wie und ob die EU bei den Gesprächen mit China Menschenrechtsfragen thematisiert. Das bleibt bisher freilich geheim. (András Szigetvari, DER STANDARD, 18.12.2014)