Eine quirlige Mädchenbande, ein Freiraum in einer engen Welt voller Verbote und Grenzen: Karidja Touré (2. v. re.) als Marieme und (v. li.) Lindsay Karamoh, Assa Sylla und Marietou Touré, die Regisseurin Céline Sciamma und ihr Team in vier Monaten Straßencasting für "Girlhood – Bandes des filles" fanden.

Foto: Thimfilm

Wien - Rihanna singt Shine bright like a diamond. Im Halbdunkel eines Hotelzimmers tanzen vier Teenagerinnen. Vorher haben sie sich für ihre Party schöngemacht, an einem neuen Kleid klemmt noch die Diebstahlsicherung. Für Marieme, die jetzt Vic heißt, und ihre Freundinnen Lady, Fily und Adiatou ist das gewöhnliche Zimmer ein Freiraum, ein glamouröser Ort. Und in diesem Moment scheint es, als wäre das Lied, dieser Plastik-Popsong, genau für diese Mädchen gemacht - er spricht zu ihnen und für sie und entfaltet so auch für die Zuschauer eine ganz neue Wirkung.

Aus solchen verdichteten Momentaufnahmen ist Girlhood - Bandes des filles gebaut: Der dritte Spielfilm der Französin Céline Sciamma kreist um die Differenz zwischen (jungen) Frauen und Männern, die sich in der Banlieu-Siedlung, in der die 16-jährige Marieme (Karidja Touré) mit ihrer alleinerziehenden Mutter, zwei kleinen Schwestern und einem älteren Bruder lebt, in einem strikten patriarchalen Kodex äußert.

Dieser definiert nicht nur Umgangsformen, Rituale des Überwachens und Strafens, er prägt den öffentlichen Raum. Er stellt unsichtbare Grenzen und Zonen her, in denen eine Gruppe laut blödelnder Mädchen plötzlich verstummt. Um eine eigene Bühne zur Selbstdarstellung zu finden, müssen sie raus aus ihrer Siedlung. Dass dieser Schritt möglich ist, das ist die erste Erkenntnis, die Marieme gewinnt.

Die Bande formiert sich

Die Mädchenbande, die ihr das eröffnet, formiert sich bald nach Anfang des Films, wenn Marieme nach einer verzweifelten Auseinandersetzung mit einer Lehrerin in den Schulhof stürmt und von drei auf einer Bank sitzenden Altersgenossinnen (Assa Sylla, Lindsay Karamoh und Marietou Touré) angesprochen wird. Marieme weist die Einladung zu einer Fahrt nach Paris erst einmal ab. Aber die Aufmerksamkeit, die eine Gruppe von Jungen den drei Mädchen schenkt, macht diese auch für Marieme attraktiv.

Die Aussicht auf Anerkennung durch die Burschen, vor allem ihren Schwarm Ismael, bleibt ein Irritationsfaktor. Aber erst einmal bekommt Marieme den Namen Vic "wie Sieg" (victoire), und Lady, die Anführerin, erklärt ihr: "Du machst, was du willst."

Das inkludiert kleine Delikte und das Aufbegehren gegen die Gängelung durch den Bruder. Bande des filles ist im Großen betrachtet auch eine nahezu klassische Rise-and-Fall-Geschichte. Der Zuseher begleitet seine Heldin durch eine längere Phase der Transformation, sie erlebt erste Siege und Niederlagen. Die Schauspieldebütantin Karidja Touré vermag diese Veränderungen - und Verhärtungen -, Momente der Zartheit, der Schockstarre oder der Wut beeindruckend intensiv zu verkörpern und in ihrer Mimik, ihrem Auftreten zu spiegeln.

Zugleich hat Sciamma, die schon in Water Lillies und Tomboy (Geschlechter-)Identitäten thematisiert und teilweise spielerisch hinterfragt hat, diesmal eine offenere Erzählform gewählt, die dramatische Struktur aufgelockert. Schwarzfilm markiert zeitliche Sprünge zwischen einzelnen Schritten von Mariemes Entwicklungsgeschichte. Immer wieder schwenkt der Film auf Situationen und Beobachtungen um, fokussiert auf Gesichter und Körper, auf Haltungen und Styles.

Bande des filles bildet auch ein Stück urbaner Jugendkultur ab. Aber stärker als eine sozialrealistische Komponente kommt dabei ein sinnliches Moment zum Tragen - das liegt auch daran, dass Sciamma das Cinemascopebild immer wieder mit Groß- und Detailaufnahmen füllt. (In Totalen betont sie hingegen die Personen im Verhältnis zum Raum.)

Einmal sitzen Marieme und ihre Freundinnen Adiatou und Fily in einem Imbiss. Sie treffen eine Gleichaltrige mit Baby und unterhalten sich kurz. Nachher will Marieme wissen, wer das Mädchen war. "Sie war die Vierte", sagt Adiatou. Marieme wird einen anderen Weg wählen als ihre Vorgängerin. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 18.12.2014)