Es klingt nach einem Fiasko fürs Weihnachtsgeschäft: Streiks in sechs von neun deutschen Amazon-Lagern, tausende Mitarbeiter, die ihre Arbeit niederlegen, und das während der betriebsamsten Zeit des Jahres, in der bis zu 53 Artikel pro Sekunde auf amazon.de bestellt werden. Allein, den Internet-Versandhandelsriesen kratzt das alles herzlich wenig.

Das Geschäft brummt, geliefert wird weiterhin pünktlich. Im Kräftemessen der Giganten mutieren die Kampfmaßnahmen der Gewerkschaft zu kleinen Nadelstichen. Schönheitswettbewerb wird der Online-Versandhandelsriese damit keinen mehr gewinnen - aber das muss er auch nicht. Denn das Rennen um Kunden macht er ohnehin mit Service und niedrigen Preisen.

Die deutschen Sozialpartner wollen dem US-Konzern Tarifverträge abringen, ihn dazu zwingen, seine Mitarbeiter nach den Regeln des Einzelhandels anzustellen, anstatt sie als günstigere Logistiker anzuheuern. Doch sie haben in diesem Duell schlechte Karten.

Natürlich dient Amazon als Marktplatz mit klarem Fokus auf Handel. Die zahlreichen Verteilzentren, in denen tonnenweise Ware lagert, sind jedoch eigene Rechtsgesellschaften. Nie und nimmer werden die Amerikaner diese freiwillig den besseren Konditionen der Handelsbranche unterwerfen.

Zumal es in der Logistik nichts Naheliegenderes gibt, als sich mit Sack und Pack, sprich mit Förderbändern und Gabelstaplern, in den Osten abzusetzen. Schon jetzt beliefert Amazon seine deutschsprachigen Kunden emsig aus Polen und Tschechien. Bei gut dreimal niedrigeren Personalkosten und ohne lästige Störgeräusche aus der Gewerkschaft.

Dass sich angesichts dieser Perspektiven deutsche Mitarbeiter in Scharen den Streikenden anschließen werden, ist unrealistisch. So entwürdigend die Arbeitsbedingungen bei Amazon vielfach sein mögen, der Druck, überhaupt einen Job zu finden, wirkt stärker.

Auf die Macht des Konsumenten zu hoffen, der den Konzern für Dumpinglöhne und rigide Arbeitsverhältnisse abstraft, ist ein frommer Wunsch ans Christkind. Der Kunde ist abgestumpft und vergisst schnell. Vor allem wenn seine Aufträge weiter reibungslos abgewickelt werden - ob nun in Deutschland oder Sibirien. Packerln aus dem Onlinehandel tragen kein Mascherl. Wer Amazon entsagt und vergleichbare Alternativen sucht, wird zudem nur begrenzt fündig. Viele konventionelle Händler haben den Sprung ins Internet verschlafen. Wenige sind innovativ und finanzkräftig genug, um den Amerikanern Paroli zu bieten.

Wobei Amazon einen zusätzlichen Schatz verwaltet: Der Konzern weiß, wie Milliarden an Kunden ticken. Das sind Daten, deren Wert sich im Detail noch gar nicht ermessen lässt.

Die Streiks bei Amazon haben Solidarität verdient. Doch mit den Waffen der Gewerkschaft ist der Onlinehändler nicht zu schlagen, schon gar nicht mit Moralkeulen. Entscheidend ist, dass der Konzern Wettbewerb massiv verzerrt: indem er die schwache Tarifabdeckung in Deutschland nutzt, Länder mit unterschiedlichen Lohngefügen gegeneinander ausspielt und sich die für ihn besten steuerlichen und sozialen Bedingungen rauspickt. Luxemburg, wo Amazon seine europäischen Gewinne verrechnet, ist dafür nur eines von vielen willigen Helferlein.

Um das System Amazon langfristig in den Griff zu bekommen, braucht es politischen Mut, steuerliche Schlupflöcher international zu schließen, und, soweit möglich, Waffengleichheit zu schaffen. Alles andere geht ins Leere. (Verena Kainrath, DER STANDARD, 17.12.2014)