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Zurück zu den Wurzeln und dorthin, wo sie stecken - diesem Motto verschreibt sich seit kurzem die Avantgardeküche. Das Verfeinern mit Erde wird mancherorts als neuester Trend gehypt, dabei gehört sie in vielen Teilen der Welt schon lange zur kulinarischen Kultur.

Foto: Reuters / Arben Celi

Graz – Die Lifestyleökonomie lebt von neuen Trends. Diese spiegeln sich auch im experimentierfreudigen Reich der gehobenen Kulinarik, deren Geschmacksmeister in letzter Zeit einen auffälligen Schwenk von der Hightech-Küche hin zum Ursprünglichen bis zur "Urkost" vollziehen. Zurück zu den Wurzeln und dorthin, wo sie stecken, ist auch das Motto der neuesten Revolution im Kochtopf: die Verwendung von Erde als Lebensmittel. Nicht unbedingt ein neuer Vorschlag zur Bekämpfung von Hungerkatastrophen, sondern eher ein Angebot für Genussspechte der Luxusklasse.

So werden etwa in einem Tokioter Feinschmeckertempel seit einiger Zeit mit Erde verfeinerte Suppen, Haupt- und Nachspeisen zu beachtlichen Preisen angeboten. Das soll nicht nur ausgezeichnet schmecken, sondern auch positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Ob sich das wissenschaftlich tatsächlich belegen lässt, versuchen Forscher weltweit herauszufinden.

Ganz abwegig ist die Idee des Erdeessens jedenfalls nicht: Immerhin findet man weltweit Menschen, die ihren Speisezettel gelegentlich mit Erde ergänzen. Insbesondere in Regionen um den Äquator essen schwangere und stillende Frauen häufig Lehm. Schon Alexander von Humboldt berichtete von einem Indianerstamm im heutigen Venezuela, der feine Schwemmerde "in unglaublicher Masse" verzehrt habe.

Natürliches Entgiftungsmittel

Die Vermutung, dass sie ihrem Körper auf diese Weise Eisen, Magnesium oder Kalzium zuführten, liegt nahe, denn diese Spurenelemente sind tatsächlich in der Erde enthalten. Inzwischen weiß man aus mehreren wissenschaftlichen Studien allerdings, dass die an die Erde gebundenen Spurenelemente vom menschlichen Organismus nicht aufgenommen werden können. Im Gegenteil – ihm werden diese Mineralstoffe sogar entzogen, da sie von der Erde gebunden werden.

Genau damit könnte aber auch der positive Effekt der Erde als Nahrungsmittel und Therapeutikum zusammenhängen: Denn wenn sie für den Körper positive Stoffe bindet, könnte sie das auch mit weniger bekömmlichen Nahrungsbestandteilen machen. Erde essen zum Entgiften also?

Die Beobachtung, dass sich viele Tiere wie etwa Papageien, Elefanten oder Schimpansen ab und zu eine Portion Erde einverleiben, spricht jedenfalls für diese Hypothese. Dabei geben sie sich allerdings nicht mit einem beliebigen Häufchen Erde zufrieden, sondern suchen sich ganz bestimmte Lehmsorten, wie der Mikrobiologe Fritz Treiber vom Geschmackslabor der Universität Graz betont.

Gemeinsam mit einem interdisziplinären Grazer Wissenschafterteam und dem Schweizer Experimentalkoch Rolf Caviezel will Treiber die Geheimnisse der Erde als Nahrungsmittel lüften. Zu diesem Zweck sollen zunächst mehrere an vielen verschiedenen Orten in der Schweiz und Österreich genommene Erdproben untersucht und verglichen werden.

"Man weiß ja nicht, was in der Erde überhaupt enthalten ist", sagt Treiber. "Unter den Milliarden Keimen in einem Löffel Erde sind natürlich auch etliche schädliche dabei." Dass die Inhaltsstoffe der Erdproben stark von ihrem Herkunftsort abhängen, liegt auf der Hand.

Nimmt man sie von einem Acker, wird man darin vermutlich Düngemittel finden, an anderen Stellen vielleicht industrielle Verunreinigungen, Schwermetalle oder sonstige "Zusatzstoffe", die als Nahrungsmittelergänzung für den menschlichen Organismus nicht unbedingt zuträglich sind.

Erdige Kochexperimente

Um bekömmliche Erde zu finden, werden die Forscher mitunter auch historische Detektivarbeit leisten müssen: "Falls in der Nähe einer Probennahme irgendwann in den vergangenen Jahrhunderten einmal Aluminium, Arsen oder andere Bodenschätze abgebaut wurden, sollten wir von dieser Gegend eher keine Erde für unsere Kochexperimente verwenden", sagt Treiber.

Ein großes Problem seien in Österreich die vielen wilden Deponien, die im Laufe der Zeit einfach überbaut wurden. Generell dürfte sich die Auswahl geeigneter Bezugsorte für kulinarisch hochwertige Erde in Grenzen halten. Spätestens im kommenden Frühling werden die Ergebnisse der interdisziplinären Erdanalysen vorliegen – das bakteriologische Know-how bringt übrigens Gernot Zarfel von der Medizinischen Universität Graz ein, die Expertise im Bereich der Analytischen Chemie kommt von Walter Gössler von der Universität Graz.

In einigen Monaten werden abenteuerhungrige Feinschmecker auch erfahren, wo sie die bekömmlichste Erde finden und wie man sie besonders schmackhaft zubereitet. "Üblicherweise wird sie bei 200 Grad etwa 50 Minuten im Ofen gebacken, bevor man sie weiterverarbeiten kann", sagt Treiber. Um interessierte Gourmets auf den Gusto zu bringen, sollen mit den Forschungsergebnissen auch die besten Erdrezepte des Schweizer Kreativkochs präsentiert werden.

Saibling im Schlamm

Vielleicht trägt der Saibling dann keine langweilige Salzkruste mehr, sondern einen edlen Mantel aus Schlamm. Wer die hohe Kunst des Kochens mit Erde quasi von der Krume auf und von Meisterkoch Rolf Caviezel höchstpersönlich erlernen möchte, wird dazu die Gelegenheit im Geschmackslabor der Uni Graz bekommen.

Seit einem Jahr nutzen Fritz Treiber und Helmut Jungwirth das interdisziplinäre Know-how aus der Forschung und die neue Experimentierküche im "Offenen Labor Graz" nämlich, um Interessierten die naturwissenschaftliche Seite des Kochens nahezubringen beziehungsweise durch den analytischen Blick in die Kochtöpfe naturwissenschaftliche Prinzipien lebensnah zu vermitteln.

"Immerhin spielen beim Kochen Physik, Chemie, Biologie und andere Forschungsdisziplinen zusammen", sagt der begeisterte Mikrobiologe und Hobbykoch. Rund zehn Kurse werden pro Semester angeboten: Von "Wissenschaftlich & Vegan" über kulinarische Streifzüge durch die mittelalterliche Küche bis zum angeleiteten Nachbau industriell gefertigter Nahrungsmittel. Na dann Mahlzeit! (Doris Griesser, DER STANDARD, 17.12.2014)