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3. April 1938: Jubelnde Menge bei Adolf Hitlers Ankunft in Graz. Der Führerkult hat sich bis heute in Geschichtsbüchern für Schulen gehalten.

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Salzburg - Der Propagandaapparat im Nationalsozialismus stilisierte Adolf Hitler zum Übervater und "Führer" der deutschen Nation. Dieser Führerkult stellte Hitler als zentrale Person des politischen Handelns dar. Der sogenannte Hitler-Mythos ist auch aus den Schulbüchern der österreichischen Unterstufe, Hauptschule und Neuen Mittelschule noch nicht vollständig verschwunden.

Das zeigen aktuelle Forschungsergebnisse des Geschichtsdidaktikers Christoph Kühberger. Der Vizerektor der Pädagogischen Hochschule (PH) Salzburg hat alle 13 Geschichte-Schulbücher, die derzeit in der österreichischen Unterstufe im Einsatz sind, untersucht. In vielen Kapiteln der Unterrichtsbücher wirke es so, als ob Hitler allein für die Taten des Nationalsozialismus verantwortlich sei, weil er als einzige handelnde Person dargestellt werde, erklärt Kühberger.

Hitler kommt 25 Mal auf einer Seite vor

Ein Geschichtsbuch nenne Hitler etwa im Schnitt viermal pro Seite, um die Darstellung zum Nationalsozialismus vornehmen zu können. Auf einer Seite wird sein Name sogar in 25 Sätzen genannt. Nur in vier Büchern seien die Nennungen nicht so stark ausgeprägt.

"Besonders der Aufstieg des Nationalsozialismus wird unmittelbar mit Adolf Hitler verknüpft", sagt der Geschichtsdidaktiker im Gespräch mit dem Standard. Die Entstehungsgeschichte des Nationalsozialismus werde nicht von Hitlers Biografie getrennt, sondern mit seiner Persönlichkeit verwoben. Im Umkehrschluss habe es den Anschein, nur Hitler sei verantwortlich. Dies würden auch Interpretationen aus den Schulbüchern zeigen. Dort heißt es etwa "Hitler verhandelt mit England" oder "Er greift Polen an". Hier komme es zur sprachlichen Asymmetrie in den Darstellungen: Hitler werde als Person dargestellt aber ihm gegenüber stehe ein ganzes Land

Holocaust-Debatte ist weiter

Einzig beim Thema Holocaust werde Hitler nicht als erklärendes Moment eingesetzt, sagt Kühberger. In diesen Kapiteln werde auch auf die Täter, Mittäter, Zuschauer und Opfer eingegangen. "Das hängt damit zusammen, dass es in den letzten Jahren sehr viele Debatten zur Holocaust-Erziehung gegeben hat. Richtigerweise hat man darauf geachtet, das differenzierter zu erzählen." Doch der kritische Diskurs, der zum Holocaust geführt wurde, sei nicht in andere Bereiche der NS-Geschichte verschleppt worden.

Die Forschungsergebnisse zeigen zudem, dass die Tatsache, dass es einen Führerkult gegeben hat, sehr marginal thematisiert werde. Nur ein Buch vertiefe sich in die Überhöhung Hitlers in der politischen Kultur auf einer Doppelseite. Dieses Buch weise auch auf den erzählenden Mythos, der sich in den Büchern festsetzt, hin.

Kritische Haltung gegenüber historische Darstellungen

Um den Hitler-Mythos verschwinden zu lassen, müsse eine kritische Haltung gegenüber historischen Darstellungen vermittelt werden, erklärt der Vizerektor der Stefan-Zweig-Hochschule. Lehrer könnten etwa mit den Schülern verschiedene Darstellungen in Büchern vergleichen. Dabei würden schnell Unterschiede auffallen. "Das ist der erste Schritt ins kritische Denken, dass ich verschiedene Quellen gegeneinander abwiege."

Natürlich müsse bei Schulbüchern Geschichte vereinfacht werden, räumt Kühberger ein. Diese Vereinfachung führe aber auch dazu, dass falsche Vergangenheitsbilder entstehen würden oder der Mythos, dass Hitler für alles verantwortlich ist, aufrechterhalten bleibe.

Interpretationen aus der Nachkriegszeit

Beim Hitler-Mythos falle dies besonders auf, da die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema schon weiter sei. "In der Geschichtswissenschaft hat sich natürlich seit längerem durchgesetzt, dass Hitler nicht allein hauptverantwortlich für alle Taten des Nationalsozialismus sein kann." Gleichzeitig seien aber in der Öffentlichkeit Interpretationen aus der Nachkriegszeit, die Hitler als Hauptverantwortlichen darstellen, sehr dominant geblieben. Über die Generationen der Schulbücher der Nachkriegsgeneration dürfte sich dieser Führermythos eingeschlichen haben, vermutet Kühberger. (Stefanie Ruep, DER STANDARD, 17.12.2014)