Sterben beim kleinen Tod: Das Weibchen hat dem kleineren Männchen an ihrem Rücken bereits den Kopf abgebissen, was das Männchen allerdings nicht daran hindert, noch eine Zeitlang weiterzumachen.

Foto: Katherine Barry

Sydney/Wien - Dass Alma Mahler eine berüchtigte Femme fatale im Wien nach 1900 war, ist weithin bekannt. Eher unbekannt dürfte indes sein, dass sie sich einige Monate lang als Forscherin versuchte: Kurz nach dem Tod Gustav Mahlers hat der Biologe Paul Kammerer die junge Witwe im Herbst 1911 überredet, an der Biologischen Versuchsanstalt im Prater mitzuarbeiten, damit sie sich vom Tod des Gatten ablenken konnte.

Das Projekt, das sich Kammerer ausdachte, war seiner berühmt-berüchtigten Assistentin quasi auf den Leib geschneidert: Alma sollte untersuchen, ob Gottesanbeterinnen das Gedächtnis verlieren, wenn sie sich häuten. Die Zusammenarbeit der beiden hatte ein wenig überraschendes Ergebnis: Der verheiratete Kammerer verliebte sich Hals über Kopf in die 32-Jährige und drohte, sich am Grab Mahlers zu erschießen, wenn er von ihr nicht erhört würde.

Die erfolglose Entomologin Alma

Alma Mahler konnte beides mit Geschick abwenden. Als Biologin allerdings versagte sie, vermutlich auch deshalb, weil sie lieber weiterhin Männer sammelte und gleich einmal dem Künstler Oskar Kokoschka ordentlich den Kopf verdrehte - jenem Kokoschka, der kurz zuvor das umstrittene Theaterstück "Mörder, Hoffnung der Frauen" verfasst hatte.

Viel erfolgreicher als Erforscherin der Gottesanbeterinnen als Alma Mahler ist Katherine Barry von der Macquarie Universität in Sydney. Die junge Entomologin hat es trotz ihrer Jugend zu einer der führenden Expertinnen für die Insekten gebracht, auf die eine Umkehrung des Kokoschka-Titels zutrifft: "Mörderinnen, Hoffnung der Männchen".

Barry hat in den vergangenen Jahren bereits einige bahnbrechende Erkenntnisse über die Fangheuschrecken veröffentlicht: So konnte sie am Beispiel der australischen Art Pseudomantis albofimbrata 2008 im Fachblatt "Behavioral Ecology" zeigen, dass zwar 40 Prozent der Männchen beim Sex gefressen werden. Deren Fortpflanzungschancen sind damit aber nicht perdu: Die Männchen können nämlich stundenlang kopflos weiterkopulieren, weil sie noch ein kleines "Hirn" im Bauch haben - und die Weibchen sind vollgefressen fruchtbarer.

Video: Diese "Femme fatale" lässt es erst gar nicht zum Sex kommen.
Kate B

In ihren beiden jüngsten Studien, die dieser Tage erschienen sind, geht Barry der Frage nach, was die Männchen an den verhängnisvollen Weibchen gar so attraktiv finden. Im Fachmagazin "Functional Ecology" klärte sie mit Kollegen, wie die Männchen ihre Objekte der Begierde finden können, da die Insekten perfekt dem Umgebungsgrün angepasst sind.

Die einfache Lösung, in den saloppen Worten von Katherine Barry, die auf STANDARD-Nachfrage übrigens alle Rückschlüsse von den Insekten auf Menschen strikt zurückweist: "Die Männchen mögen große, helle Hinterteile." Tatsächlich ist der hintere Teil der Weibchen etwas heller grün gefärbt und weist den Männchen gleichsam den Weg zum Ziel, wie Barry und Kollegen durch Experimente herausgefunden haben.

In der neuen Ausgabe der angesehenen "Proceedings B" der Royal Society geht die Forscherin schließlich noch - und damit sind wir zurück bei Alma Mahler - der sogenannten Femme-fatale-Hypothese nach. Barry testete, ob eher gut oder schlecht genährte Weibchen für die Männchen attraktiver sind. (Femme fatale deshalb, weil die hungrigen besonders zum Kannibalismus neigen.)

Video: Dieses Schäferstündchen war erfolgreicher, wenn auch das Männchen dabei den Kopf verloren hat.
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Fatale Anziehungskraft

Tatsächlich zeigte sich, dass Männchen von den besonders Unterernährten am stärksten angezogen werden, obwohl diese am wenigsten fruchtbar sind. Wenn die fatalen Weibchen nicht zur Wahl standen, präferierten die Männchen die satten, die auch die fruchtbarsten sind. Barry vermutet, dass ein Duftlockstoff die hungrigen Weibchen unwiderstehlich macht. Die lassen es dann freilich erst gar nicht zum Sex kommen, weil das Männchen vorher verspeist wird - womit die Femme-fatale-Hypothese zumindest bei Tieren erstmals experimentell bestätigt werden konnte. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 17.12.2014)